Das Six Sigma-Konzept wird in vielen größeren Firmen erfolgreich für die systematische Prozessverbesserung eingesetzt. Vor allem in der Produktion und bei sehr häufig durchgeführten, standardisierten Massenprozessen bringen die quantitativen und statistischen Methoden, für die Six Sigma bekannt ist, einen deutlichen Mehrwert. Der Begriff „Six Sigma“ bezeichnet eine sehr hohe Prozessqualität, bei der es auf eine Million Prozessdurchläufe maximal 3,4 Abweichungen von den vorgegebenen Zielwerten gibt. Das entspricht einem praktisch fehlerfreien Prozess mit einer Zuverlässigkeit von 99,9997%. „Lean Six Sigma“ umfasst zusätzlich die Prinzipien des „Lean Management“, wie Vermeidung von Verschwendung und überflüssigen Aktivitäten, konsequente Kundenorientierung, ständige Prozessverbesserung und dezentrale Strukturen. Lag der Schwerpunkt der Six Sigma-Anwender zunächst in den USA, wächst auch in Europa die Anwenderzahl stetig.
Lean Six Sigma ist ein sehr umfassendes Konzept, das recht genaue und detaillierte Vorgaben umfasst. Es umfasst unter anderem eine Vorgehensweise für verschiedene Arten von Projekten, ein Rollenkonzept und ein größeres Repertoire verschiedener methodischer Werkzeuge. Mit Ihrem neuen Buch Lean Six Sigma erfolgreich implementieren (Anzeige) liefern Frank Bornhöft und Norbert Faulhaber Ratschläge zur erfolgreichen Einführung von Lean Six Sigma. Sie fokussieren dabei insbesondere auf den Dienstleistungsbereich, für den sich Lean Six Sigma ihrer Meinung nach ebenso gut eignet wie für den Produktionsbereich. Beide Autoren verfügen sind zertifizierte Six Sigma-„Master Black Belts“ und verfügen über umfangreiche Erfahrungen bei der Einführung und Anwendung dieses Ansatzes, u. a. Six Sigma-Pionier General Electric, der Deutschen Bank, der European Transaction Bank Xchanging, T-Mobile und IBM.
Nach einer kurzen Einführung und einem historischen Abriss erläutern die Autoren zunächst die verschiedenen Rollen in einem Six Sigma-Programm. Wer das erste Mal mit diesem Thema zu tun hat, fühlt man sich unweigerlich an asiatische Kampfsportarten erinnert. Tragen die verschiedenen Beteiligten doch Bezeichnungen wie „Green Belt“ (grüner Gürtel), „Black Belt“ (schwarzer Gürtel) und „Master Black Belt“. Dahinter verbergen sich genau definierte Aufgaben sowie Anforderungen an die betreffenden Mitarbeiter. So leistet ein Green Belt etwa Unterstützung bei der Durchführung eines Six Sigma Projektes, oder er leitet selbst kleinere Six Sigma-Projekte. Er sollte für diese Aufgabe zu 40% vom Tagesgeschäft freigestellt werden. Neben den verschiedenen, direkt an den Projekten beteiligten, „Gürtelträgern“ wird das Rollenkonzept durch Sponsoren aus der Unternehmensleitung, Projekt Champions (Auftraggeber aus Geschäfts- oder Bereichsleitung), Programm-Leiter (projektübergreifende Führung des gesamten Six Sigma-Programms), Six Sigma-Controller sowie Process Owners komplettiert.
Das nächste größere Kapitel widmet sich den Six Sigma-Grundlagen und Vorgehensweisen, insbesondere wird der DMAIC-Kreislauf zur Optimierung bestehender Prozesse im Detail erläutert. Er besteht aus den Phasen
- Define (Definieren): Definition des Problembereichs und des Projektzieles.
- Measure (Messen): Ermittlung des gegenwärtigen Zustandes, Festlegung von Kennzahlen, Identifikation kritischer Einflussfaktoren, Aufbau geeigneter Mess-Systeme.
- Analyse (Analysieren): Auswertung von Daten und Untersuchung der Prozesse zur Ermittlung von Problem-Ursachen und Verbesserungspotenzial, Erstellung eines Verbesserungskonzeptes.
- Improve (Verbessern): Umsetzung der Verbesserungsmaßnahmen, Standardisierung und Dokumentation der verbesserten Prozesse.
- Control (Steuern): Überprüfung des Projekterfolges mittels statistischer Prozesskontrollen, Sicherstellung der Nachhaltigkeit der Veränderung.
Für jede Phase werden die durchzuführenden Aufgaben und mögliche Werkzeuge erläutert.
Häufig wird DMAIC unternehmensspezifisch angepasst. Als Beispiele werden die Six Sigma Vorgehensweisen von GE Capital, IBM Global Business Services und der European Transaction Bank Xchanging vorgestellt. Wenn es weniger darum geht, vorhandene Prozesse zu verbessern sondern ganz neu zu entwickeln, dann kommt die DFSS Methodik („Design for Six Sigma“) zum Einsatz. Diese wird im Buch nur kurz angerissen und mit DMAIC verglichen, wobei ein Großteil der DFSS-Instrumente auch bei DMAIC zum Einsatz kommen.
Es folgt ein Kapitel über Qualifizierungs- und Trainingskonzepte für verschiedenen Six Sigma-Rollen. Neben Schulungen spielt hierbei die Mitarbeit in Six Sigma-Projekten eine wichtige Rolle. Um etwa ein Black Belt zu werden, und damit Six Sigma-Projekte leiten zu können, sollte man u.a. zwei erfolgreich bewertete Projekte durchgeführt und Einsparungen von über einer halben Million Euro erzielt haben. Von großer Bedeutung in dem Trainingskonzept ist das Thema „Soft Skills“ und Veränderungsmanagement (siehe hierzu auch den Blogbeitrag „Change Management zum Anfassen„). Hierzu wird grob aufgezeigt, wie Arbeitsgruppen zu Teams und Teams zu Hochleistungsteams entwickelt werden. Eine wesentliche Qualifikationsmaßnahme stellt das Coaching der als Projektleiter eingesetzten Black Belts durch erfahrene Master Black Belts dar.
Das umfangreichste Kapitel befasst sich mit der erfolgreichen Einführung eines Six Sigma-Programmes im Unternehmen. Hierzu wird eine Roadmap mit den folgenden vier Phasen vorgestellt:
- Entscheiden: u.a. Top Managements gewinnen, Vision entwickeln, Business Case, Ziele und Umfang festlegen, Budget bereitstellen
- Vorbereiten: u.a. Programm-Manager, Steuerungsgremium, Champions etc. festlegen, Kandidaten für weitere Rollen auswählen, Projekte definierten
- Starten: u.a. beteiligte Mitarbeiter gemäß ihren Rollen ausbilden, Projekte durchführen, Erfolge messen und berichten
- Ausrollen: u.a. Six Sigma Team ausbauen, weitere Mitarbeiter trainieren, weitere Bereiche im Unternehmen einbeziehen
Als kontinuierliche Aufgaben werden die Verknüpfung der Six Sigma-Projekte mit den Unternehmenszielen genannt, sowie die Integration des Six Sigma-Programms mit der Personalmanagement. Der letzte Punkt ist von großer Bedeutung. Wenn Six Sigma-Initiative in die Karrierepfade des Unternehmens eingebunden ist, stellt die Mitarbeit an Six Sigma-Projekten keine Sackgasse dar, sondern im Gegenteil einen nützlichen Schritt auf der Karriereleiter. Damit gelingt es eher, die besten Mitarbeiter für die Mitarbeit in den Projekten zu motivieren. Auch die Rückkehr in die Linie nach einigen Jahren Six Sigma-Tätigkeit sollte geregelt sein.
Für die verschiedenen Phasen werden eine Reihe von Praxistipps sowie Checklisten geliefert, z.B. zur Auswahl geeigneter Projekte und zur Messung des Projekterfolgs. Interessant ist der „verdeckte“ oder U-Boot-Ansatz. Dabei geht es darum, eine noch nicht von Six Sigma überzeugte Unternehmensleitung dadurch zu begeistern, dass Six Sigma-Methoden in einem ausgewählten Projekt erfolgreich eingesetzt werden.
Das letzte Kapitel stellt Beispiele für eine erfolgreiche Six Sigma-Einführung vor. Einige dieser Beispiele bestehen leider nur aus kommentarlos aus dem Web zusammenkopierten Erfolgsmeldungen verschiedener Firmen. Eine Selbstdarstellung der Six Sigma-Initiative von Sun über eine ganze Seite wurde noch nicht einmal aus dem Englischen übersetzt. Hier hätte es genügt, die zwei ausführlicheren Fallstudien der Integration eines von GE übernommenen IT-Service-Unternehmens sowie der Transaktionsbank Xchanchin vorzustellen.
Im Anhang finden sich u. a. ein Glossar, eine Checkliste zur Überprüfung der Voraussetzungen zur Six Sigma-Einführung, und eine Übersicht über hilfreiche Werkzeuge. Statt aufwändiger statistischer Tools lassen sich z. T. auch Analysen mit Tabellenkalkulationsprogrammen erstellen. Eine Liste mit möglichen Projekten aus verschiedenen Unternehmen, für die sich der Lean Six Sigma-Ansatz gut eignet, kann als Ideenlieferant bei der Auswahl eigener Projekte dienen.
Interessant auch der Abschnitt „Fragen und Antworten“. Hier einige Auszüge:
- Ist Six Sigma auch für kleine Unternehmen geeignet?
Antwort: „Die Methodik lässt sich genauso gut für kleine Unternehmen […] einsetzen.“ Es „können häufig nur wenige Six Sigma-Spezialisten ausgebildet, geschweige denn […] freigestellt werden“. „Wichtig ist, dass […] ein hochwertiges Coaching zur Verfügung steht.“ (S. 177/178). - Ist Six Sigma nicht „alter Wein in neuen Schläuchen“?
Antwort: „[…] Die Vernetzung der bekannten Werkzeuge zu wirkungsvollen Methodiken […] stellt den eigentlichen Wert von Six Sigma dar“. (S. 178) - Six Sigma lässt sich gut in häufig wiederkehrenden Prozessen anwenden. Macht Six Sigma auch Sinn bei Prozessen, die nur einmal im Jahr durchgeführt werden (z. B. strategische Planung, Anlagenbau)?
Antwort: „[…]Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass auch bei Prozessen mit einer sehr langen Durchlaufzeit die Methodik anwendbar ist […] Sollten Sie die Wahl haben, so sind häufig wiederkehrende Prozesse mit kurzer Durchlaufzeit für Six Sigma-Projekte die erste Wahl.“ (S. 178)
Insgesamt stellt das Buch einen sehr interessanten Überblick über dar, der einerseits als ersten Einstieg in die Thematik dienen kann, andererseits werden Six Sigma-Anwender durch die zahlreichen Praxis-Tipps Nutzen aus dem Buch ziehen können. Dabei lassen sich auch einige eingeschlichene Tippfehler sowie die eine oder andere nicht lesbare bzw. nicht näher erläuterte Abbildung verschmerzen. Das Buch fokussiert auf grundlegende Fragen und Erfolgsfaktoren bei der Six Sigma-Einführung. Das bedeutet zwangsläufig, dass viele Einzelthemen, wie z. B. einzelne Werkzeuge nur kurz angeschnitten werden können. Wer hier stärker in die Tiefe gehen möchte, sollte zusätzliche Literatur heranziehen.
Wer aber nicht nur lesen, sondern die Six Sigma-Prinzipien in einem Planspiel selbst erfahren will, dem seien das im Anhang vorgestellte Bier-Spiel oder M&M-Übung empfohlen. Wer an der Statistik schwer zu kauen hat, der darf zumindest die M&Ms am Ende aufessen.
Bornhöft, Frank; Faulhaber, Norbert: Lean Six Sigma erfolgreich implementieren. Frankfurt School Verlag. 2007.
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1 Gedanke zu „Praxisratgeber zu Lean Six Sigma“
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