Marktstudie über Prozessmodellierungs-Tools
Wer seine Geschäftsprozesse managen will, muss sie kennen. Auch wenn es noch genug Unternehmen gibt, die ihre Prozesse mit reinen Präsentations- oder Grafiktools bzw. in Form von Texten oder Tabellen erfassen, wird man ab einem gewissen Umfang der Modelle nicht umhin kommen, sich nach einem geeigneten Modellierungstools umzusehen. Bei dieser Auswahl hilft einem die neue Studie des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Die Verfasser haben insgesamt 18 Werkzeuge, die im deutschsprachigen Raum verbreitet sind, anhand eines umfangreichen Kriterienkatalogs untersucht.
Das geeignete Modellierungstool zu finden ist keine einfache Aufgabe. Die verfügbaren Tools unterscheiden sich hinsichtlich Herkunft und Einsatzschwerpunkt deutlich. Die Geschichte der Modellierungstools reicht bereits über 20 Jahre zurück. Die untersuchten Tools begannen ursprünglich beispielsweise als Zeichenprogramme, Simulationswerkzeuge, CASE-Tools (Computer Aided Software Engineering) oder Modellierungskomponenten von Workflowtools. Auch heute noch haben viele Tools ihre Stärken in den Anwendungsbereichen, aus denen sie ursprünglich stammen.
Einsatzszenarien
Zum zweiten hängt die Eignung eines Tools ganz wesentlich vom gewünschten Einsatzzweck ab. Und hier reicht die Spanne von der fachlich ausgerichteten Unternehmens- und Organisationsmodellierung über „Governance, Risk and Compliance“ (GRC) bis hin zum Customizing von Standardsoftware und zur Spezifikation von Software bzw. zur Modellierung automatisch ausführbarer Prozesse. Um diesen verschiedenen Anforderungen gerecht zu werden, definiert die Studie vier idealtypische Einsatzszenarien für Modellierungstools:
- Qualitäts- und Organisationsmanagement: Hierbei geht es hauptsächlich um die Dokumentation und die Publikation der Prozesse, die Zertifizierung und die Abbildung der Aufbauorganisation.
- Fachbereiche: Hier werden die Anforderungen von Mitarbeitern der Fachbereiche zusammengefasst, die hauptsächlich Informationen über die Prozesse abrufen wollen, z. T. aber auch eigene Prozesse bzw. Prozessänderungen dokumentieren. Zu den Anforderungen gehören u. a. die Publikation im Intranet, unterschiedliche Darstellungsformen, Layoutvorlagen und Mehrsprachigkeit der Inhalte. Relevant sind weiterhin ein Änderungsmanagement sowie Hilfestellungen bei der Modellierung.
- Aufgaben des IT-Managements: Das IT-Management benötigt einerseits Funktionen für das Management der IT-Prozesse, z. B. Referenzmodelle wie ITIL (IT Infrastructure Library), sowie IT-bezogene Sichten (z. B. Bebauungspläne) und geeignete Reports und Analysen, andererseits eine Unterstützung bei der Software-Entwicklung. Hierzu sind beispielsweise Schnittstellen zu Entwicklungswerkzeugen und Workflow-Systemen und die Unterstützung von SOA-Standards (Service-orientierte Architekturen).
- Beratung: Berater benötigen u. a. die Unterstützung mehrerer Modellierungssprachen, mächtige Auswertungs- und Analysefunktionen, Möglichkeiten zur dezentralen Modellierung und der Synchronisation der Modelle über ein zentrales Repository, sowie Export-Funktionen.
Auch wenn man sich selbst nicht genau einem dieser Szenarien zuordnen kann, bieten sie einen guten Überblick über die Breite und den Umfang der Anforderungen, die man an ein Modellierungstool stellen kann.
18 Tools ausgewählt
Insgesamt zählen die Autoren im deutschsprachigen Raum etwa 160 Tools im Bereich Business Process Management. Bei den 18 bewerteten Produkten handelt es sich um Tools, „die im deutschsprachigen Raum aktiv von den Anbietern vermarktet werden und die ihren Schwerpunkt im Bereich der Geschäftsprozessmodellierung haben.“ Hieraus erklärt sich, warum mancher prominenter Name fehlt, wie z. B. das im englischsprachigen Raum verbreitete Casewise.
Auch das wohl am häufigsten für die Prozessmodellierung eingesetzte Tool, Microsoft Visio, fällt nicht in die Auswahl, da dessen Schwerpunkt rein in der Diagrammerstellung liegt. Dass ein Tool wie iGrafx fehlt, es andererseits MO²GO in die Studie geschafft hat, entspricht hingegen nicht unbedingt der Sichtbarkeit im Markt. Möglicherweise ist die Berücksichtigung von MO²GO darauf zurückzuführen, dass es dem Schwesterinstitut des IAO, dem Fraunhofer IPK entstammt. Die Liste aller untersuchten Tools findet sich auf der Bestellseite der Studie.
Kriterien und Einzelauswertungen
Im ersten Teil der Studie werden die möglichen Funktionen und Inhalte für die Modellierung, das Qualitätsmanagement, die Analyse und Simulation von Prozessen, Schnittstellen sowie die Ausführung von Prozessen ausführlich erläutert. Hierdurch erlangt man einen sehr umfassen Überblick darüber, was heutige Modellierungswerkzeuge prinzipiell zu leisten in der Lage sind. Für jedes Thema werden umfangreiche Kriterienkataloge aufgestellt und erläutert. Die Abdeckung der jeweils diskutierten Anforderung durch die verschiedenen Tools wird tabellarisch dargestellt. Die oben genannten Szenarien können hierbei als Navigationshilfe verwendet werden, von ihnen wird auf die jeweils relevanten Abschnitte verwiesen.
Im zweiten Teil sind für jedes Tool auf jeweils neun Seiten detaillierte Angaben zum Anbieter und zum Tool enthalten. Hierbei handelt es sich um die Angaben der Hersteller, die den Kriterienkatalog in Form eines Fragebogen ausfüllten. Zusätzlich ist jeweils die grafische Darstellung eines vom IAO vorgegebenen Prozesses einer Rechnungsbearbeitung abgedruckt. Auch wenn eine einzelne Prozessgrafik zwangsläufig nur einen kleinen Ausschnitt aus den Darstellungsmöglichkeiten der Tools zeigt, gibt sie doch einen ersten Einblick in das „Look and Feel“ der jeweiligen Modellierung. Mit einigen Herstellern hat das Institut außerdem einen eintägigen Evaluierungsworkshop durchgeführt. Für diese Tools werden zusätzlich noch die jeweiligen Besonderheiten beschrieben.
Keine Rangliste
Trotz der ausführlichen Erläuterungen im ersten Teil lassen sich manche Kriterien durchaus noch weiter hinterfragen. Interessanterweise wird etwa abgefragt, ob BPMN 2.0 unterstützt wird, obwohl es noch überhaupt keine BPMN-Spezifikation in der Version 2.0 gibt. Das hinderte manchen Anbieter nicht, das entsprechende Feld anzukreuzen – was durchaus Zweifel an der Ernsthaftigkeit mancher Antworten aufkommen lässt.
Die Studie verzichtet darauf, ein Rangliste der untersuchten Werkzeuge zu erstellen. Letztlich muss jedes Unternehmen selbst aufgrund seiner individuellen Anforderungen entscheiden. Hierzu bietet die Studie eine wertvolle Unterstützung. Trotzdem muss man die relevanten Aspekte der in Frage kommenden Tools etwa im Rahmen einer Teststellung noch einmal genauer unter die Lupe nehmen. Wird in der Studie etwa angegeben, dass Schnittstellen zu bestimmten Workflow-Systemen existieren, so ist noch genau zu klären, was diese Schnittstelle leistet, welche Modellinformationen ausgetauscht werden usw.
Mit der Studie und einer darauf aufbauenden Analyse der eigenen Anforderungen ist man gut gewappnet, den Toolherstellern die richtigen Fragen zu stellen.
Ist bekannt, weshalb Casewise es nicht in die Studie geschafft hat?
ui – peinlich – habe gerade gesehen, dass meine frage im text beantwortet wird. sorry.
Sehr geehrter Herr Professor Allweyer,
als regelmäßger Leser Ihres sehr informativen Blogs möchte ich mir erlauben, zu diesem Thema einen kurzen „Erfahrungsbericht“ beizusteuern. Auf der Suche nach dem geeigneten GPM-Werkzeug für unsere Bank haben wir mEn einen recht pragmatischen Ansatz gewählt: ausgehend von dem von Ihnen beschriebenen Prozesskreislauf haben wir die einzelnen Anforderungen (ca. 50) an die GPM-Software in einer einfachen Matrix erfasst, diese mit den Herstellern, die angaben, den gesamten Kreislauf vom Modellieren über Publizieren, Steuern & Kontrollieren/Messen abzudecken, abgeglichen. Am Schluss hatten wir 3 Anbieter eingekreist, diese einer umfassenden Betrachtung unterzogen und unter Berücksichtigung aller Kosten (Lizenzen, Inbetriebnahme, Schulung, Implementierung von Datenschnittstellen etc.) auf einen 4 Jahreszeitraum bewertet und uns dann für den besten & günstigsten entschieden (der interessanterweise in all diesen Vergleichen nie auftaucht, dennoch bei einigen Industriekonzernen bereits vertreten ist).
So verfügen wir Stand heute über eine moderne, einfach administrierbare und ausbaufähige Lösung, die unsere Ziele optimal unterstützt.
Fatal ist es, sich nur auf Modellierung zu konzentrieren, und dann festzustellen, dass die weitaus schwierigeren Aufgaben im PLC dann nicht mit dem gleichen Werkzeug abgebildet werden können.
Mit freundlichen Grüßen,
N.M.