Tagung BPMN 2010

Am Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam findet momentan die BPMN 2010 statt. Sie besteht in diesem Jahr aus zwei Teilen: Der erste Tag ist ein wissenschaftlicher Workshop, er wird gefolgt von einem Anwendertag. Ein interessanter Ansatz, der die verschiedenen Interessen an der Standardnotation reflektiert. Mathias Weske vom HPI gab der Hoffnung Ausdruck, dass dies auch dem verstärkten Transfer von wissenschaftlichen Ergebnissen in die Praxis dient.

BPMN 2.0 versus BPEL

Die Tagung wurde eröffnet Frank Leymann von der Universität Stuttgart. Er griff die Debatte um BPMN 2.0 versus BPEL auf. Da die neue Version 2.0 der BPMN eine Ausführungssemantik für die Prozessmodelle definiert, stellt sich die Frage, ob BPEL als Orchestrierungssprache noch benötigt wird. Bisher werden BPMN-Modelle häufig in die BPEL übersetzt, wenn sie von einer Process Engine ausgeführt werden sollen. Mit BPMN 2.0 ist es möglich, die BPMN-Modelle direkt auszuführen. Für BPEL spricht, dass es recht verbreitet ist. Viele Process Engine-Hersteller unterstützen BPEL, und die Modelle sind vergleichsweise gut austauschbar. Bei der Entwicklung von BPEL wurde allerdings verpasst, eine grafische Notation zu definieren. Die BPMN füllte diese Lücke. Allerdings enthält die BPMN auch eine Reihe von Konstrukten, die nicht von BPEL unterstützt werden, wie z. B. Choreographien. Entsprechende Erweiterungen für BPEL erwiesen sich als schwierig zu entwickeln und zu standardisieren. Daher wurde die BPMN ausführbar gemacht. Nachteil: BPMN ist mittlerweile recht komplex geworden.

Leymann geht davon aus, dass es künftig auf dem Markt sowohl reine BPMN 2.0-Process Engines als auch BPEL-Engines geben wird. Intern nutzen die meisten Process Engines ihre eigenen Repräsentationen für die Prozesse. Sie bilden BPEL oder ähnliche Sprachen auf ihre interne Struktur ab, die sich oft ganz grundlegend von der BPEL-Struktur unterscheidet. Dies gilt auch für ausführbare BPMN 2.0-Modelle. Für den Prozessmodellierer ist es letztlich egal, ob sein Modell über den BPEL-Umweg oder direkt in das interne Format der jeweiligen Engines übersetzt wird. Im Moment unterstützt noch kein BPMS alle Konstrukte der BPMN. Es wird wahrscheinlich noch viele Jahre dauern, bis es die volle Unterstützung für BPMN 2.0 geben wird – falls dies überhaupt der Fall ist. Im Endeffekt sollte man eine sinnvolle Untermenge des BPEL und BPMN-Sprachumfangs nutzen und implementieren. Ob BPEL als Zwischenformat verwendet wird, ist gar nicht so entscheidend. Langfristig werden immer mehr Hersteller dazu übergehen, BPMN 2.0 ohne den Umweg über BPEL zu unterstützen.

BPMN für dynamische Prozesse

Jan Koehler von der Hochschule Luzern untersucht den Einsatz von BPMN für dynamische Prozesse, wie z. B. im Case Management. Hierbei spielen Geschäftsregeln eine wichtige Rolle. Ihr Ansatz basiert auf BPMN Kollaborationsdiagrammen, um die Kommunikation von Menschen, Daten und Regeln abzubilden. Sie zeigte das Beispiel einer Autovermietung, wo es viele Ad hoc-Prozesse gibt, bei denen zahlreiche Regeln berücksichtigt werden müssen. Die Regeln können sich auf den Lebenszyklus und die Zustände der beteiligten Objekte beziehen, z. B. ob ein Fahrzeug gerade vermietet oder verfügbar ist. Der Modellierungsansatz sieht Prozesse  für einzelne Zustandsübergänge der Objekte bzw. die einzelnen Regeln oder Aktivitäten der Akteure vor. Hierbei werden Regeln, Akteure, Objekte etc. jeweils als eigene Pools dargestellt, zwischen denen Nachrichten ausgetauscht werden. Die Gesamtprozesse sind nicht fest vorgegeben, sondern ergeben sich durch die Verknüpfung der einzelnen Kollaborationen im Rahmen von Szenarien.

Prozesse modellieren mit Excel & Co.

Stefan Krumnow von Signavio präsentierte einen Ansatz zur tabellarischen Erstellung von Prozessmodellen. Zwar ist die Idee nicht neu (vgl. z. B. diesen Beitrag), doch ist es natürlich interessant, wie dies konkret für die BPMN erfolgt. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Prozesse als Tabellen darzustellen. Zum Beispiel können Sequenzen von Aktivitäten einfach als Liste abgebildet werden. Sollen auch Verzweigungen, Datenflüsse etc. dargestellt werden, werden die erforderlichen Tabellen deutlich komplizierter.  Die Autoren haben einen Prototypen entwickelt, mit dem sich ein Roundtrip realisieren lässt: Tabellen können in grafische Modelle und zurück transformiert werden. Dabei ermöglicht ein Merging-Mechanismus Änderungen zusammenzuführen.

BPMN-Ausführung formal definiert

Mit der Ausführung von BPMN-Modellen befasst sich eine Arbeitsgruppe an der  Technischen Universität Eindhoven. Die BPMN 2.0-Spezifikation beschreibt das Verhalten von Prozessmodellen bei ihrer Ausführung, die Ausführungssemantik, als informalen Text. Remco Dijkman stellte dar, wie sich die Ausführungssemantik mit Hilfe von Graph-Transformationen formal definiert werden können. Solche formalen Modelle erleichtern die korrekte Interpretation von Modellen und die Umsetzung durch Process Engines, Simulationen etc.

Komplexe Ereignisse

Complex Event-Processing beschäftigt sich mit der Identifikation von Ereignissen, die sich durch eine Kombination verschiedener Einzelereignisse und Informationen ergeben, und mit der geeigneten Reaktion auf solche Ereignisse. Steffen Kunz von der Berliner Humboldt-Universität demonstrierte, wie dies in BPMN-Modellen berücksichtigt werden kann. Beispielsweise kann es in einem Logistikprozess für verderbliche Güter Ereignisse geben, die dazu führen, dass ein Produkt entsorgt werden muss. Diese Ereignisse hängen von Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Herstellungsdatum etc. ab. Um derartige Ereignisse zu bestimmen kann z. B. die Event Processing Language (EPL) verwendet werden. EPL-Definitionen erinnern an SQL-Abfragen von Datenbanken. Kunz zeigte, wie diese Ausdrücke stattdessen in Form von Datenobjekten und angehefteten Ereignissen in BPMN-Modellen ausgedrückt und somit in Prozessmodelle integriert werden können.


Tagungsband:
Mendling, J.; Weidlich, M.; Weske, M. (Hrsg.):
Business Process Modeling Notation. Second International Workshop, BPMN 2010. Potsdam, Germany, October 2010. Proceedings.
Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010.
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