Heute Vormittag ging es mit dem wissenschaftlichen Teil der Tagung weiter. Der Tag begann mit einer Keynote von Marlon Dumas von der Universität Tartu (Estland). Er führte aus, wie unstrukturierte Prozessmodelle automatisiert in strukturierte Modelle überführt werden können. Als gut strukturiert bezeichnet er Modelle, bei denen zu jeder Verzweigung eine passende Zusammenführung des gleichen Typs modelliert ist (z. B. parallel oder exklusiv). Solche Modelle lassen sich oft besser verstehen und analysieren. Da es in BPMN möglich ist, Gateways an beliebigen Stellen einzusetzen und zu verbinden, können ziemlich komplexe Modelle entstehen, die entsprechend schwierig in strukturierte Modelle zu überführen sind.
Prozessvarianten bei eBay
Clemens Rath von eBay beschrieb einen Ansatz zum Management von Prozessvarianten. eBay verfügt über Prozesse, für die – zumindest theoretisch – bis zu 8000 verschiedene Varianten möglich sind. So kann ein Prozess etwa je nach Kombination aus Region, Kundengruppe, eingesetzten Technologien usw. etwas anders durchgeführt werden. Zur Erzeugung und Verwaltung einer derartigen Variantenvielfalt wurde ein Ontologie-basierter Ansatz entwickelt. Hierbei werden wiederverwendbare Prozessbausteine modelliert, die je nach Situation und Rahmenbedingungen unterschiedlich kombiniert werden. Im Rahmen des entwickelten Ansatzes wird auch dokumentiert, aus welchen Gründen eine bestimmte Variante gewählt wurde. Die Anwendung der vorgestellten Methodik wurde anhand eines Call Center-Prozesses illustriert.
Prozessvarianten waren auch Gegenstand des Vortrags von Maria Rastrepkina vom Hasso Plattner-Institut. Ihr Ansatz basiert darauf, Prozessmodule zu identifizieren, die jeweils unterschiedlich miteinander kombiniert werden können. Ein variabler Prozess enthält eine Reihe von Variationspunkten, an denen zwischen unterschiedlichen Prozessmodulen gewählt werden kann. Hierzu müssen die zur Auswahl stehenden Prozessmodule so definiert sein, dass sie komplett gegeneinander austauschbar sind und somit jeweils ein konsistentes Gesamtmodell entsteht.
Ästhetische Modelle
Mit der Ästhetik des Modell-Layouts befasste sich Philipp Effinger von der Universität Tübingen. Er entwickelte mit seinen Kollegen eine Reihe von Kriterien für ein gutes Layout, wie z. B. die Minimierung von Überkreuzungen oder von Kanten-Knicken. Diese Kriterien wurden in einer Anwenderstudie getestet. Verschiedene Nutzergruppen zeigten dabei unterschiedliche Präferenzen. Dies ist insbesondere für Tools von Bedeutung, die BPMN-Modelle automatisch layouten. Es konnte gezeigt werden, dass Tools, deren Layoutalgoithmen die aufgestellten Ästhetik-Kriterien besser erfüllen, von den Test-Probanden auch besser beurteilt wurden.
Prozesse und Dokumente
Victoria Torres von der Polytechnischen Universität Valencia präsentierte die Anwendung der BPMN für die öffentliche Verwaltung. Da Dokumente eine sehr große Rolle in den untersuchten Prozesse der Behörden in Valencia spielen, wurden einige Erweiterungen der Notation entwickelt und in einem Tool implementiert. Die Erweiterungen betreffen insbesondere die Verknüpfung mit Dokumentenmodellen. Hierdurch können beispielsweise unterschiedliche Dokumentenzustände, kombinierte Dokumente sowie Originale und Kopien dargestellt und unterschieden werden. Organisatorische Aspekte werden durch die Verknüpfung mit einem Rollenmodell abgebildet.
BPMN Tools
Die Evaluierung von BPMN-Tools war Gegenstand des Vortrags von Zhiqiang Yan von der Technischen Universität Eindhoven. Hierfür wurde zunächst ein Kriterienkatalog entwickelt. Im Fokus dieses Katalogs steht insbesondere die Unterstützung der Modellierung, z. B. durch wiederverwendbare Prozessfragmente, automatische Vervollständigung etc., aber auch die angebotenen Navigationsmöglichkeiten. Weitere Kriterien betreffen z. B. das Lizenzmodell, unterstützte Sprachen, die Art der Speicherung sowie die Integration mit Process Engines. Verglichen wurden insgesamt fünf verschiedene, frei erhältliche Tools (Oryx, DiaGen, Biz-Agi, Tibco, Intalio), wobei sich ein recht differenziertes Bild ergab. Die Auswahl des geeigneten Tools hängt somit von den individuellen Anforderungen ab.
Neuerungen der BPMN-Version 2.0
Hagen Völzer vom Züricher IBM Forschungszentrum leitete mit seiner Keynote vom wissenschaftlichen Teil des Workshops zum Anwendertag über. Er gab einen Überblick über die Neuerungen, die die neue Version 2.0 der BPMN enthält. Besonders nützlich sei das standardisierte Austauschformat, mit dem es künftig möglich werden soll Modelle problemlos von einem Werkzeug zum anderen zu übertragen. Durch die Spezifikation der Ausführungssemantik ist es nun wesentlich leichter, den Weg von grafischen Modellen zur Implementierung mittels Process Engines zu gehen. Völzer präsentierte verschiedene Einsatzszenarien für die BPMN-Modellierung. BPMN 2.0 trägt den unterschiedlichen Szenarien dadurch Rechnung, dass die Notationselemente in unterschiedliche Klassen eingeteilt wurden. So benötigt ein rein fachliches Übersichtsmodell wesentlich weniger Elemente und Attribute als ein ausführbares Modell. Gelegentlich ist die Kritik zu hören, dass BPMN zu komplex sei. Verwendet man jedoch einen sinnvollen Ausschnitt aus der Notation, lässt sich diese Komplexität drastisch reduzieren.
1 Gedanke zu „BPMN 2010 – Zweiter Tag“
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