Eine Unterstützung bei der Suche nach der richtigen Software für die Dokumentation und Analyse von Geschäftsprozessen bietet die aktuelle Studie „Prozessmodellierungswerkzeuge“ des Business Application Research Center (BARC). Untersucht wurden insgesamt elf Werkzeuge. Bewertet wurde einerseits das technische Konzept, andererseits die Anwendungsunterstüzung. Zum technischen Konzept zählen die Autoren beispielsweise die Architektur des Systems, Schnittstellen und Integration mit anderen Systemen, die Unterstützung kollaborativen Modellierens, die Publikation von Modellen und die Modelladministration. Im Bereich Anwenderunterstützung wurden beispielsweise die angebotenen Notationen und die Möglichkeiten zur Sichtenbildung und Hierarchisierung begutachtet, aber auch Features für die Modellanalyse, die Simulation und die Prozessautomatisierung.
Für die Evaluierung wurde eine Fallstudie eines fiktiven Unternehmens verwendet, das seine Prozesse verbessern möchte und hierzu ein Werkzeug auswählt. Jeder Softwarehersteller musste einen auf dieses Unternehmen bezogenen Fragekatalog beantworten, bei dem die wesentlichen Kriterien fallbezogen abgefragt wurden. Um einen Eindruck für die Modellierung und die Notation zu bekommen, musste außerdem ein kleiner Prozess aus der Fallstudie modelliert werden. Zusätzlich wurden die Tools in einem Testlabor installiert und begutachtet.
Die Abdeckung der einzelnen Kriterien wurde auf einer Skala von 0 bis 100% bewertet und für jedes Tool in Form von Spinnennetzdiagrammen dargestellt. Da die einzelnen Kriterien je nach Einsatzzweck unterschiedlich relevant sind, gibt es auch kein Gesamt-Ranking der betrachteten Tools. Bei einer konkreten Toolauswahl müssen die Kriterien individuell gewichtet werden, um potenziell geeignete Softwaretools zu identifizieren. An der einen oder anderen Stelle kann die Punktevergabe auch diskutiert werden. So erhielt ARIS fast 90% für die Abdeckung des Kriteriums „Prozessautomatisierung“, obwohl laut Beschreibung die Integration mit Webmethods erst in Planung ist. Das Tool QPR hingegen verfügt bereits über ein eigenes Workflow-Modul, bekommt aber gerade einmal 30% für die Prozessautomatisierung. Die Prozentwerte sind somit eher als erste Anhaltspunkte zu verstehen. Im konkreten Auswahlprozess muss man die einzelnen Kriterien gemäß den individuellen Anforderungen detailliert überprüfen.
Die Studie umfasst einen umfangreichen Grundlagenteil, der in das Prozessmanagement, die Prozessmodellierung und den Einsatz von Modellierungswerkzeugen einführt. Es wird erläutert, wie man vorgehen sollte um ein solches Werkzeug auszuwählen. Schließlich werden die Bewertungskriterien, das angewandte Evaluierungsverfahren und die Fallstudie vorgestellt. In einem Übersichtskapitel werden die Besonderheiten und die Bewertungen jedes Werkzeuges kompakt zusammengefasst. Den größten Teil der Studie nehmen die detaillierten Beschreibungen der elf Werkzeuge ein.
Der Markt für Prozessmodellierungswerkzeuge ist etwas unübersichtlich. Insbesondere gibt es Überschneidungen mit den prozessausführenden Business Process Management-Systemen, aber auch mit Software-Entwicklungswerkzeugen. Daher ist es nicht ganz einfach, eine sinnvolle Auswahl für eine Marktstudie zu treffen. Leider beschreibt die vorliegende Studie nicht genau, nach welchen Kriterien die Werkzeuge ausgewählt wurden. Es ist daher nicht ganz offensichtlich, weshalb klassische Modellierungstools wie Adonis, ibo Prometheus oder iGrafx mit der Modellierungskomponente eines BPMS (Intalio) und einem sehr allgemeinen Simulationswerkzeug ohne speziellen Geschäftsprozessfokus (PACE) verglichen wurden. Der Fokus dieser Werkzeuge unterscheidet sich doch deutlich, was sich auch in der Bewertung zeigt. Hinzu kommt, dass es auf dem Markt sehr viele weitere BPMS und allgemeine Simulationstools gibt, die man konsequenterweise ebenfalls in die Studie hätte einbeziehen müssen. Auf der anderen Seite wurden einige prominente Modellierungswerkzeuge nicht berücksichtigt, z. B. von Mega, Casewise oder IBM. Möglicherweise ist deren Verbreitung im deutschsprachigen Raum zu gering.
An dieser Stelle eine persönliche Erfahrung zum erwähnten Simulationswerkzeug „PACE“: Ich habe im Jahr 1991 im Rahmen einer Studienarbeit an der Universität Stuttgart einen Materialfluss-Simulator auf Basis von PACE programmiert. Die Beschreibung in der Studie erweckt bei mir den Eindruck, dass sich seit damals sowohl von der Oberfläche als auch der Architektur her (Implementierung in Smalltalk) wenig an PACE geändert hat. Softwaretechnisch ist es also nicht unbedingt modern, aber für hochwertige Simulationen sind auch eher die implementierten Algorithmen wichtig. Trotzdem hat es mich erstaunt, dass dieses System nach 19 Jahren noch immer in dieser Form auf dem Markt ist.
Ein wichtiger aktueller Trend ist in der Studie noch nicht berücksichtigt: Die reinen Web-Modellierungswerkzeuge, wie z. B. Lombardi Blueprint (jetzt IBM) oder Signavio. Wer auf der Suche nach dem geeigneten Modellierungstool ist, sollte sich daher nicht auf die in der Studie getroffene Auswahl beschränken, sondern noch weitere Werkzeuge in Betracht ziehen. Dennoch ist die Veröffentlichung eine fundierte Grundlage für die Toolselektion und erspart einem viel Zeit bei der Informationsrecherche.
Böhn, M.; Burkhardt, A.; Gantner, M.:
Prozessmodellierungswerkzeuge. Systeme für Dokumentation, Entwurf, Simulation und Analyse.
2. Auflage. Business Application Research Center (BARC), Würzburg 2010.
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