Starke Kritik an der Forschung zum Thema BPM äußerte Thomas Olbrich von Taraneon kürzlich auf der Konferenz S-BPM One (S-BPM steht für Subjekt-orientiertes BPM). Mittlerweile hätten die Unternehmen gelernt, dass erfolgreiches Geschäftsprozessmanagement nur gelingen kann, wenn verschiedene Disziplinen zusammenspielen, wie z. B. strategisches Management, Organisation, Veränderungsmanagement, Informationstechnik, usw. In der Wissenschaft sei dieser Integrationsgedanke aber noch nicht angekommen. Stattdessen würden viele isolierte Spezialthemen erforscht, die oft nur einen geringen Nutzen für eine spätere Umsetzung in die Praxis brächten.
Er habe noch nie Aussagen von Unternehmen gehört, wie „Dank BPEL kann ich meine Prozesse managen.“ oder „Wir gingen pleite, weil wir keine vereinheitlichte Semantik hatten.“ Genau das sind aber Themen, an denen sehr fleißig geforscht wird. Olbrich stellte eine Liste mit zehn Themen vor, die seiner Meinung nach stärker erforscht werden müssten. So interessiert ihn beispielsweise, wie IT Prozesse und Geschäftsprozesse besser aufeinander abgestimmt werden können, wie man die Kosten zur Identifizierung eines Prozesses um 40% senken oder den Wert eines Prozesses nachweisen kann. Die komplette Liste findet sich hier.
Ich sollte wirklich betonen, dass der Vortrag bewusst zum „Aufrütteln“ gedacht war und eine absichtliche Provokation darstellen sollte…zumindest in der Überspitzung der Argumente. Aber…er scheint seine Wirkung nicht verfehlt zu haben. Vielleicht schaffen wir ja wirklich wieder eine Annäherung zwischen Forschung und Industrie bzw. Theorie und Praxis.
Thomas
Forschung wird sehr stark über die Finanzierung durch öffentliche Forschungsprogramme getrieben. Wenn es gelänge, entsprechende Schwerpunkte zu initiieren (z. B. beim Bundesforschungsministerium oder der EU), wäre dies sicherlich ein Anreiz für Wissenschaftler stärker interdisziplinär an solchen Fragestellungen zu arbeiten. Wer könnte so etwas initiieren? Die Forscher selbst tendieren dazu, neue Fragestellungen aus ihrer bisherigen Forschungsrichtung vorzuschlagen. Der Anstoß könnte wohl am ehesten von der Industrie kommen, die einen entsprechenden Bedarf formulieren müsste. Und damit meine ich nicht Softwarehersteller, sondern Anwenderunternehmen. Möglicherweise wird dort der Wissenschaft aber gar nicht zugetraut, nützliche Ergebnisse in dieser Hinsicht zu liefern …
Im Übrigen erwarte ich eigentlich auch einigen Widerspruch aus der Wissenschaft. Schließlich gibt es ja nicht nur die rein technisch ausgerichtete Fraktion, sondern z. B. auch Wirtschaftsinformatiker und ähnliche Fachrichtungen, die ja eigentlich das Ziel anstreben, die Kluft zwischen Business und IT zu reduzieren.
Sehr interessante Diskussion! Herr Allweyer bringt das Problem aus meiner Sicht auf den Punkt. Wenn die Anwenderunternehmen der Wissenschaft zutrauen würden, Arbeitsabläufe auch in kürzerer Zeit verbessern zu können, wär die Wissenschaft schon „engagiert“. Ansatzpunkt könnte meiner Meinung nach das Qualitätsmanagement sein. In einigen Unternehmen gibt es selbst auf IT Seite die Rolle des Qualitätssicherers (SQAs). Ich stelle mir gerade vor, wenn hier ein begabter Wissenschaftler mit Praxiserfahrung (z.B. einer Projektleitung im Unternehmen) sitzen würde…
Allerdings muß sich aus meiner Sicht dazu auch die Wissenschaft ändern. Etwas provokant formuliert, hilft es nicht, nur mit Modellen und Ansätzen zu arbeiten. Wir müssen auch die Menschen einbeziehen. Im Rahmen meines Buches und meines Blogs (Alfas-Welt) beschäftigte ich mich schon länger damit. Ein Beispiel: was ist die richtige Modellierungsmethode? Jetzt könnten wir eine akademische Diskussion führen. Andererseits habe ich z.B. in mehreren Unternehmen ARIS als sehr beliebt angetroffen. Hier ist i.d.R. die Akademikerquote sehr hoch und das Modelldenken sehr ausgeprägt. In anderen Unternehmen ist diese Quote niedriger gewesen. Hier habe ich Kollegen mit ausgeprägtem Expertenwissen getroffen. Mit komplexen und abstrakten Modellen hatten sie allerdings Mühe. Das gibt natürlich niemand gerne direkt zu. Vor allem, wenn den Kunden aus dem Betrieb, „Doktoren“ aus der IT gegenübersitzen und „die alles besser wissen“. ARIS war schon „verbrannt“. Das hatte dann aber viele Gründe. In diesen Situationen lege ich dann gerne ein weißes Blatt Papier auf den Tisch und frage „Malt mal los“. Dann sehe ich, welches Modell sich am besten eignet. Das Modell muß zum Konzern und vor allem deren Mitarbeitern passen. Es soll ja dann so wenig wie möglich geschult werden…
Eine Diskussion dieser Art müssten die Kandidaten von den Lehrstühlen aus meiner Sicht führen können. Wenn das den Unternehmen dann bewußt ist, wären die Chancen aus meiner Sicht größer. Das ist aber auch eine Frage der Profilierung…
Guter Punkt. Wie gelingen Kommunikation und Kooperation der verschiedenen Stakeholder zur Erhebung und Verbesserung von Prozessen? Wie kann man Prozesse zielgruppengerecht dokumentieren und kommunizieren (ohne Methodenschulungen)? Antworten auf diese und ähnliche Fragestellungen haben heute vielleicht (gute) Berater. Wissenschaftler halten sich aus derartigen „Niederungen“ gerne heraus.
Wir haben uns seit einigen Wochen mit dem Thema Innovation beschäftigt und zudem aufgerüttelt durch Max J. Pucher Aussage, dass in zu stark durchdefinierten Prozessen keine Innovation mehr stattfindet, schlage ich vor, dass während der Erstellung von Modellen auch Methoden genutzt werden, die ein Querdenken fördern. Und zwar, auch wenn ich das Wort eigentlich nicht mag, nachhaltig. Damit meine ich, dass nicht nur zur Modellierungszeit sonder auch zu Laufzeit (=Produktion) die Möglichkeit zum Querdenken angeboten werden muss.
Wenn wir heute über Prozessmodellierung sprechen, meinen wir eher immer die Steigerung der Effizienz zu erhöhen. Dabei wird weniger an den Nutzen für den Kunden gedacht, als an das Sparen innerhalb der eigenen Prozesse. Nur macht dass das Business nicht effektiver, sprich kann vielleicht mehr verkaufen, weil der Preis nun geringer sein könnte. Aber ob da bessere Produkte uns Services bei rausspringen?
Jedenfalls wäre das auch so ein Punkt, BPM mehr interdisziplinär anzugehen.
Wenn es interessiert – ich habe das Thema aufgegriffen und mir ein paar Gedanken gemacht (www.alfas-welt.de)…
1. Die Kluft zwischen Unternehmen und Wissenschaft überwinden
2. Schwarzgelbes Vorbild – worum wir junge Analysten beneiden sollten (Studenten in „den Niederungen des Prozessalltags“). Hat übrigens einen wahren Hintergrund, die ich im Rahmen meiner Buchrecherche kennengelernt habe.
Eine gute Idee, den Protagonisten von „Das Spiel“ einen eigenen Blog schreiben zu lassen. Ich habe Alfas Welt gleich einmal verlinkt. Bei der Gelegenheit habe ich gemerkt, dass der sehr lesenswerte Saperion Blog von Herrn Bartonitz auch noch gefehlt hat. Das habe ich natürlich auch gleich geändert. Das oben angesprochene Thema der Innovation bei der Prozessdurchführung ist noch einmal eine ganz eigene Diskussion wert.
Mit Studenten in Unternehmen machen wir in der Fachhochschule eigentlich immer sehr gute Erfahrungen. In meinem Fachbereich müssen nach wie vor alle Studierenden ein Praxisprojekt in Unternehmen durchführen, zumeist kombiniert mit der Bachelorarbeit, die dann ebenfalls in der Praxis durchgeführt wird.
Liebe Leute,
… schade, dass sich hier ein recht einseitiges Bild eines Wissenschaftlers, der im BPM forscht, verfestigt zu haben scheint. Wie viele der hier angesprochenen Themen sind nicht schon seit Jahre Gegenstand der BPM-Forschung (Kommunikation, Kooperation, Adressatenadäquanz etc.)? Aber dazu müsste man sich ja auch erstmal ersthaft mit der BPM-Forschung und ihren Ergebnissen beschäftigen. Der viel gerühmte Brückenschlag zwischen (BPM) Wissenschaft und Praxis wird sicherlich nicht einseitig funktionieren können …
Ihr
BPM-Forscher
Ja, es lässt sich natürlich erst einmal fragen, was denn eigentlich alles zur BPM-Forschung gehört. Es wird zweifellos auch in den genannten Themengebieten geforscht. Trotzdem habe ich vielfach den Eindruck, dass es eine Reihe von praxisrelevanten Fragen gibt, die von der Forschung vernachlässigt werden.
Ein Beispiel: Es gibt eine Reihe von Arbeiten über die Verständlichkeit von Prozessmodellen. Dabei wird dann z. B. festgestellt, dass eine große Zahl von Verzweigungen ein Modell schwer verständlich machen. Hieraus werden dann Empfehlungen für „gute“ Prozessmodelle abgeleitet. Das ist ja auch okay, obwohl man das eine oder andere vielleicht schon intuitiv vermutet hatte
Die für die Praxis aber viel entscheidendere Frage über die geeignete Zahl von Modellierungsebenen, den geeigneten Detaillierungsgrad auf jeder Ebene, jeweils sinnvoll darzustellende Sachverhalte, Modellierungskonventionen usw., wird von der Forschung fast überhaupt nicht behandelt, sondern fast nur von Praktikern (z. B. hier, hier und hier).