Sammelband über Social BPM

Cover Social BPMMan mag „Social BPM“ als neues Buzzword abtun, doch liegt es angesichts des Erfolgs von sozialen Plattformen wie Facebook und Co. schon nahe, über die Nutzung von „Social Software“ für das Geschäftsprozessmanagement nachzudenken. Schließlich geht es in Geschäftsprozessen darum, dass Menschen kooperieren und kommunizieren. Hinzu kommt, dass herkömmliche Business Process Management-Systeme einem relativ mechanistischen Ansatz folgen und daher vor allem für standardisierbare Prozesse geeignet sind, bei denen es nur wenige Abweichungen gibt. Bei weniger gut vorhersehbaren und wissensintensiven Prozessen können soziale Plattformen, Kurznachrichtendienste, Blogs etc. eine nützliche Rolle spielen. Andererseits bringt das reine Bereitstellen derartiger Technologien noch recht begrenzten Nutzen. Daher stellt sich die Frage, wie sie gezielt im Rahmen des Prozessmanagements eingesetzt werden können. In dem englischsprachigen Buch Social BPM (Anzeige) geben eine Reihe prominenter Autoren ihre Antworten auf diese Frage. Diese Antworten fallen nicht immer einheitlich aus. Dennoch kristallisieren sich beim Lesen einige mehrfach genannte Einsatzszenarien heraus:

  • Kollaboratives Entdecken und Entwickeln von Prozessen, z. B. durch die Nutzung einer gemeinsamen Modellierungsplattform mit Kommentierungs- und Diskussionsmöglichkeiten.
  • Zusammenarbeit bei der Prozessdurchführung, z. B. indem man aus einer Anwendung heraus jederzeit eine Diskussion mit Kollegen und Experten anstoßen und diesen hierfür Zugriff auf die Informationen des betreffenden Falls geben kann. Umgekehrt können jedem Bearbeiter eines Prozesses die Kontextinformationen zur Verfügung stehen, also z. B. bereits erfolgte Diskussionen. Herkömmlich werden auftretende Fragen häufig außerhalb der zur Prozessunterstützung verwendeten Anwendungen diskutiert. Damit stehen die betreffenden Informationen später nicht mehr zur Verfügung.
  • Intuitivere Präsentation und Interaktion, z. B. indem anstehende Aufgaben nahtlos in die individualisierte Startseite eines Mitarbeiterportals eingebunden werden, wo zugleich die Funktionen eines sozialen Netzwerks zur Verfügung stehen, die im Rahmen der Prozessausführung mit genutzt werden können. Die Bedienung über Smartphones lässt sich ebenfalls integrieren. Auch können Mitarbeiter etwa bestimmte Ereignisse aus Prozessen „abonnieren“, so dass sie über einen Kurznachrichtendienst informiert werden, wenn die betreffenden Ereignisse eintreten.
  • Analyse von sozialen Interaktionen und automatisches Erkennen relevanter Ereignisse: Hier reichen die Vorschläge der Autoren von der Definition einfacher Ereignisse, wie z. B. der Beitritt eines neuen Mitglieds zu einer Gruppe, bis zur textbasierten Analyse der Diskussionen und Inhalte einer sozialen Plattform. Damit kann man relevante Muster identifizieren, die z. B. auf bestimmte Probleme hindeuten, so dass frühzeitig reagiert werden kann.
  • Einbindung von sozialen Technologien und Plattformen für die Interaktion mit Kunden und anderen Geschäftspartnern im Rahmen von Prozessen
  • Aufbau von Communities, in denen Erfahrungen und Best Practices über bestimmte Prozesse u. ä. ausgetauscht werden.

Mehrere Beiträge stellen einen engen Bezug zum Thema Case Management her, dass sich ja ebenfalls mit wissensintensiven und schwach strukturierten Prozessen beschäftigt. Der Case Management-Ansatz fokussiert stärker auf die direkte Unterstützung der Fallbearbeitung durch die Verwaltung von Vorgangsmappen, Regeln, Templates usw., wohingegen beim Social BPM die Kollaboration der Beteiligten im Vordergrund steht. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen beiden Themen, die daher bei der Umsetzung immer gemeinsam betrachtet werden sollten.

Ein wenig enttäuschend sind die enthaltenen Praxisbeiträge, bei denen zwar die Elemente Kommunikation und Kollaboration jeweils eine Rolle spielen, jedoch kaum Social Software-Technologie eingesetzt wird.  Am interessantesten ist noch ein Kapitel über ein internationales Projekt, bei dem eine gemeinnützige Organisation in Indien von Beratern aus Nordamerika und Südafrika unterstützt wurde. Die Autoren vergleichen detailliert, wie dasselbe Projekt im Jahr 1991 ohne die heutigen technischen Möglichkeiten abgelaufen wäre und Errechnen für das Jahr 2011 eine Reduzierung der direkten Kosten von 12.000 $ auf 140 $. Erreicht wird dies insbesondere dadurch, dass die Beratung komplett aus der Ferne erfolgt. Zwar werden für die Kommunikation und den Datenaustausch Systeme wie Skype und Dropbox eingesetzt, doch werden mit dem reinen Austausch von Dateien natürlich noch längst nicht die Möglichkeiten einer sozialen Plattform ausgeschöpft, die z. B. das gemeinsame Bearbeiten und Diskutieren der Prozessmodelle beinhalten könnte.

Das Fehlen überzeugender Praxisbeispiele zeigt einmal mehr, dass das Thema noch recht weit am Anfang steht und praktische Erfahrungen erst noch gesammelt werden müssen. Sicherlich werden aus der Praxis heraus auch noch ganz neue Erkenntnisse und Einsatzmöglichkeiten gefunden. Auch wenn es noch keinen einheitlichen Social BPM-Ansatz gibt, liefern die Beiträge dieses Sammelbandes zumindest eine Menge von wichtigen Denkanstößen für den Einsatz neuer Technologien im Prozessmanagement. Die stärkere Fokussierung auf die an den Prozessen beteiligten Menschen und ihre Zusammenarbeit ist auf jeden Fall begrüßenswert.


Fischer, Layna (ed.):
Social BPM
Work, Planning and Collaboration Under the Impact of Social Technology.
Future Strategies 2011.
Das Buch bei amazon (Anzeige)

>>Mehr Buchvorstellungen zum Thema BPM<<

1 Gedanke zu „Sammelband über Social BPM“

  1. Die Social Business Anwendungen scheinen einen starken kulturellen Wandel herbeizuführen, der nicht nur die Art des Arbeitens in den Unternehmen sondern jetzt auch in die politische Kultur bringt.
    Ich war letzte Woche auf einer XING-ECM-Lounge Veranstaltung, auf der Stefan Pfeiffer von der IBM dies während der Podiumsdiskussion unterstrich. IBM hat ein eigenes Facebook installiert. Auf dieser Plattform haben sich die Experten untereinander vernetzt und arbeiten so an innovativen Lösungen für eine gerade anstehende Aufgabe, ohne die Hierarchien zu beachten. Der Chef ist nicht mehr der alleinige Experte und kann sich daher mehr um organisatorische Dinge kümmern, so dass das Team noch reibungsloser Arbeiten kann (mein Bericht http://bit.ly/n2yzWN )
    Und wenn es um komplexe Aufgabenstellungen geht, wird immer häufiger empfohlen, den Ko-Piloten einzuschalten, sprich den Bauch / das Unterbewusstsein. Manche haben Prinzip auch mit Chef und Mitarbeier verglichen. Was unser Bauch warum leisten kann, habe ich hier reflektiert http://bit.ly/nAlVJZ . Und auch das führt zu einem kulturellen Wandel innerhalb unserer Geschäftsprozesswelt.
    Aber nicht nur da sonder auf in der politischen Welt. Wir können den Beginn schon heute an den Protestbewegungen des 15. Oktober auf der ganzen Welt beobachten. Die Regierung könnte den Schwarm der Bürger ebenfalls als Ko-Piloten einschalten. Oder?

Kommentare sind geschlossen.