Prozessmodellierungsnotationen wie BPMN sind ein sehr gutes Hilfsmittel um den Kontrollfluss von Geschäftsprozessen abzubilden. Für die Prozessautomatisierung sind aber noch eine Reihe weiterer Aspekte wichtig, die sich nicht so gut modellieren lassen. Beispiele sind die Spezifikation von Benutzerdialogen oder komplexere Fälle der Zuordnung von Aktivitäten zu Akteuren. So kann man z. B. mit BPMN nicht modellieren, dass eine bestimmte Aufgabe nur von dem Benutzer durchgeführt werden darf, der vorher bereits eine andere Aufgabe in demselben Prozess ausgeführt hat.
Die „Hagenberg Process Modelling Method“ umfasst Methoden zur Abbildung derartiger Aspekte und integriert sie mit BPMN-Modellen. Die Bezeichnung geht auf die österreichische Stadt Hagenberg zurück. Am dortigen Software Competence Center wurden die Forschungen durchgeführt, die der Methodik zugrunde liegen.
Bei dem englischsprachigen Buch handelt es sich um eine wissenschaftliche Veröffentlichung, die einige Vorkenntnisse erfordert. Es richtet sich somit hauptsächlich an Wissenschaftler sowie an Hersteller von Modellierungswerkzeugen und BPM-Systemen.
Es werden folgende Methoden und Methoden-Erweiterungen beschrieben:
- Erweiterung von BPMN-Tasks um „deontische Operatoren“. Mittels Farben und Ergänzungen der Task-Bezeichnungen wird unterschieden, ob Tasks z. B. verpflichtend, erlaubt oder verboten sind – auch in Abhängigkeit von den Ergebnissen vorangehender Aktivitäten. Damit lassen sich BPMN-Diagramme kompakter darstellen, da zahlreiche Gateways entfallen können.
- Modellierung von Akteuren. Im Gegensatz zu herkömmlichen BPMN-Diagrammen, bei denen die Akteur-Zuordnung meist mittels Pools und Lanes stattfindet, werden die möglichen Akteure bei den Aktivitäten eingetragen. Hierbei lässt sich u. a. auch unterscheiden, ob mehrere Rollen gemeinsam oder alternativ tätig werden. Die verwendeten Rollen werden in einem separaten Rollendiagramm modelliert. Und schließlich werden einzuhaltende Regeln formuliert, mit denen sich beispielsweise ausdrücken lässt, dass zwei Aktivitäten von unterschiedlichen Personen ausgeführt werden müssen.
- Modellierung der Benutzer-Interaktionen. Zur Spezifikation der Benutzerdialoge wird ein weiterer Diagrammtyp verwendet, das Workflow Chart. Darin werden die im User Interface angezeigten Formulare mit den nachfolgenden Server-Aktionen modelliert. Es werden zweierlei Arten von Server-Aktionen unterschieden. Sofortige Aktionen werden direkt nach dem Absenden eines Formulars durchgeführt. Verzögerte Aktionen werden in Benutzer-Tasklisten eingetragen. Sie werden also erst ausgeführt, wenn sie von einem Benutzer gestartet werden.
Es ergeben sich Überschneidungen mit BPMN-Diagrammen. Da es sich bei den verzögerten Aktionen zugleich um eigenständige Tasks handelt, sind diese sowohl im Workflow Chart als auch im Prozessdiagramm vorhanden. - Erweiterte Kommunikationsmöglichkeiten mittels Ereignissen. Zwar umfasst der BPMN-Standard sehr viele Ereignistypen, doch gibt es noch weitere relevante Aspekte, wie z. B. die Lebensdauer eines Triggers oder die Anforderung, dass die Benutzer entscheiden können, auf welche Ereignisse im Prozess reagiert werden soll. Hierfür werden zusätzliche Eigenschaften für Ereignisse definiert und „Ereignis-Pools“ für Ereignisse eingeführt, die keinem speziellen Prozess zugeordnet sind.
Die aufgeführten Konzepte werden in dem Buch unter Verwendung von Abstract State Machines formal beschrieben und anhand von Anwendungsbeispielen illustriert. Schließlich wird beschrieben wie die aufgeführten Methoden integriert und bei der Entwicklung ausführbarer Prozesse eingesetzt werden können. Zur Ausführung der mit dem vorgestellten Methodenportfolio erstellten Modelle wird eine Software-Plattform benötigt. Die Autoren stellen die Architektur einer solchen „Enhanced Process Platform“ ausführlich dar.
Wer sich mit der Entwicklung von BPM-Tools und -Methoden befasst, dürfte von dem Buch profitieren. Es werden viele relevante Fragestellungen diskutiert, die in herkömmlichen Methoden wenig oder nicht abgedeckt sind. Zu fragen wäre, ob es nicht noch weitere, ebenso wichtige Aspekte gibt, die auch in der Hagenberg-Methode nicht abgedeckt sind, wie z. B. die Integration von Geschäftsregeln, die sich nicht auf die Akteur-Zuordnung beziehen, oder die Definition von Messpunkten zur Kennzahlenermittlung. Auch ein Vergleich des vorgestellten Ansatzes mit den Konzepten der CMMN (Case Management Model and Notation) wäre interessant.
Für eine erfolgreiche Umsetzung in die Praxis wäre es sicher hilfreich, die grafischen Darstellungen der Methoden intuitiver zu gestalten. Die vorgestellten Diagramme sind noch wenig nutzerfreundlich, insbesondere wenn auch eher fachlich orientierte Modellierer angesprochen werden sollen.
Felix Kossak et al.:
Hagenberg Business Process Modelling Method
Springer 2016
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