Geschäftsprozesse, die von den Beteiligten nicht akzeptiert werden, werden nicht so durchgeführt, wie sie eigentlich festgelegt wurden – oder sie werden gleich gar nicht durchgeführt. Die vorliegende Veröffentlichung einer Dissertation an der Technischen Universität Ilmenau befasst sich mit der Frage, wovon Prozessakzeptanz abhängt.
In vielen Unternehmen lässt sich die Beobachtung machen, dass Prozesse nicht nach Vorschrift durchgeführt werden. Vielfach haben die Mitarbeiter „Workarounds“ geschaffen, mit denen die offiziellen Prozesse umgangen werden. Nicht immer muss dies zu schlechteren Ergebnissen führen. Manchmal haben die Mitarbeiter auch bessere Wege zum Erreichen des Prozessziels gefunden.
Wer die Wahl hat, verzichtet unter Umständen komplett darauf, einen Prozess durchzuführen, den er nicht akzeptiert. So gab es früher bei der Billigfluglinie EasyJet freie Sitzplatzwahl. Dies war bei den Kunden recht unbeliebt, weshalb auf ein System mit fester Platzbuchung umgestellt wurde. Obwohl der Boarding-Prozess nun längerte dauerte, wurde das neue Verfahren besser akzeptiert, da man beim Einsteigen weniger Stress hat und sich nicht mehr mit Mitreisenden abstimmen muss, um z. B. zusammenliegende Sitzplätze für die Familie zu bekommen. Die Umstellung auf einen besser akzeptierten Prozess führte in diesem Fall zu höheren Erträgen für das Unternehmen.
Wovon hängt es ab, ob ein Prozess gut akzeptiert wird? Zur Beantwortung dieser Frage wurden zunächst Interviews mit Prozesseignern und Prozessbeteiligten durchgeführt. Die Interviewpartner nannten eine Vielzahl von Faktoren, die wichtig für eine hohe Prozessakzeptanz sind. Manche dieser Faktoren sind offensichtlich, werden jedoch viel zu selten berücksichtigt, konstatiert der Autor. So wird oftmals nicht ausreichend kommuniziert, warum Prozesse geändert werden und wie die neuen Prozesse aussehen.
Zur genaueren Untersuchung führte Müllerleile mehrere Experimente durch. Bei einem dieser Experimente mussten die Probanden zwei unterschiedliche Prozesse zum Laden eines Elektrofahrzeugs durchführen und miteinander vergleichen: Kabelgebundenes Laden und induktives Laden. Beim induktiven Laden ist kein Kabel erforderlich, aber man muss das Fahrzeug zentimetergenau über eine im Boden eingelassene Induktionsspule positionieren. Die Teilnehmer präferierten deutlich den induktiven Ladeprozess. Es kommt also nicht nur auf das Ergebnis an, sondern auch sehr stark auf den Prozess, der zu diesem Ergebnis führt. Eine höhere Prozessakzeptanz kann daher insgesamt zu einer höheren Kundenzufriedenheit führen – bzw. bei unternehmensinternen Prozessen zu einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit. Die Untersuchung der Prozessakzeptanz liefert auch Hinweise auf Verbesserungsmöglichkeiten.
Für weitere Experimente wurden Teilnehmer einer Crowdsourcing-Plattform beauftragt, verschiedene Szenarien zur Einführung, Änderung und Durchführung von Prozessen zu lesen und anhand von Fragebögen zu bewerten. Leider gab es hier nur wenig signifikante Ergebnisse. Es stellte sich aber beispielsweise heraus, dass ältere Teilnehmer wohlstrukturierte Prozesse höher schätzen als jüngere. Misstrauisch eingestellte Personen gewinnen Vertrauen, wenn es klar definierte Prozesse gibt. Individualisten hingegen wünschen sich hohe Freiheitsgrade bei der Prozessausführung.
Die Experimente auf der Crowdsourcing-Plattform litten möglicherweise darunter, dass die Teilnehmer lediglich Prozessbeschreibungen zu lesen bekamen, aber nicht tatsächlich Prozesse durchführen mussten. Dies könnte man erreichen, indem man mit Hilfe eines Business-Process-Management-Systems einen Workflow bereitstellt, den die weltweit verteilten Teilnehmern über das Internet bearbeiten können. Der Autor hat eine entsprechende Software-Architektur konzipiert, die für künftige Experimente genutzt werden kann.
Dass die Akzeptanz seitens der Mitarbeiter ganz zentral für jeden Geschäftsprozess ist, dürfte auf breite Zustimmung stoßen. Um so erstaunlicher, dass dieses Thema bisher wenig systematisch erforscht wurde. Und auch die Durchführung von echten Experimenten ist im Kontext des Geschäftsprozessmanagements noch relativ selten. Von daher wären weitere Arbeiten in die von Müllerleile eingeschlagene Richtung wünschenswert.
Thomas Müllerleile:
Prozessakzeptanz: Theoretische und empirische Untersuchung der Akzeptanz und Ablehnung betrieblicher Prozesse.
Springer 2019
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