Im Zusammenhang mit prozessbezogenen Technologien fallen meist Stichworte wie Process-Mining, Robotic-Process-Automation und Ende-zu-Ende-Prozessautomatisierung. Selbstverständlich werden diese in meinem aktuellen Buch auch ausführlich besprochen. Über all die spannenden Konzepte und Werkzeuge zur Prozessautomatisierung sollte aber nicht vergessen werden, dass es an vielen Stellen erst einmal darauf ankommt, Prozesse zu dokumentieren und zu analysieren. Längst nicht alle Abläufe lassen sich automatisch durch Process-Mining-Tools ermitteln und durch eine künstliche Intelligenz optimieren.
Daher spielen Tools zur Prozessmodellierung und -analyse nach wie vor eine wichtige Rolle. Ihre wichtigsten Aufgaben, Funktionalitäten und Einsatzbereiche werden im folgenden Ausschnitt aus dem Buch „Technologien für Geschäftsprozesse“ beschrieben.
Erstellung integrierter Modelle
Prozessmodellierungstools ermöglichen unter anderem die grafische Abbildung von Abläufen, beispielsweise als BPMN-Modelle. Anders als eine reine Grafiksoftware stellt ein Prozessmodellierungstool die Einhaltung wesentlicher Regeln sicher. Beispielsweise kann man nur die Symbole miteinander verbinden, bei denen dies sinnvoll ist. Teilweise kann man im Sinne einer einheitlichen Modellierung auch eigene Modellierungskonventionen aufstellen und automatisch durch das Tool überprüfen lassen.
Die grafischen Symbole können mit verschiedenen Angaben versehen werden, z. B. mit Beschreibungen oder Kennzahlen.
Meist ist es möglich, die Prozessmodelle mit anderen Arten von Modellen zu verknüpfen, beispielsweise mit Organigrammen, Datenmodellen oder IT-Landschaften. Jedes dieser Modelle bietet eine unterschiedliche Sicht auf den betrachteten Ausschnitt des Unternehmens. Durch ihre Verknüpfung entsteht eine integrierte Beschreibung der Unternehmensarchitektur, und es lässt sich beispielsweise herausfinden, welche Organisationseinheiten an welchen Prozessen beteiligt sind, oder welche Prozesse von einer Änderung in einem Anwendungssystem betroffen sind.
Zudem lassen sich Modelle hierarchisch gliedern. Ausgehend von der groben Gliederung einer Prozesslandkarte kann man nach und nach zu immer detaillierten Prozessmodellen gelangen.
In der mittleren Spalte von Abbildung 1 ist eine mögliche Hierarchisierung von Prozessmodellen dargestellt. Auf der obersten Ebene ist der grobe Ablauf als Wertschöpfungskette modelliert. Den Aktivitäten dieser Wertschöpfungskette können BPMN-Diagramme hinterlegt sein, die die detaillierten Abläufe innerhalb der betreffenden Aktivitäten darstellen. Auch einzelne BPMN-Aktivitäten können durch weitere BPMN-Diagramme näher beschrieben sein. Die rechte Spalte zeigt eine Verfeinerung grober Datenobjekte durch ausführlichere Datenmodelle.
Weiterhin sind mögliche Verknüpfungen zwischen den unterschiedlichen Modellierungssichten angedeutet. Bei den dargestellten Sichten handelt es sich nur um Beispiele. Als weitere Sicht könnte etwa die oben angesprochene IT-Landschaft hinzukommen, aber auch z. B. eine Risikosicht, in der die zu berücksichtigenden Risiken und Gegenmaßnahmen strukturiert werden. Werden sie mit den Prozessen verknüpft, lassen sich unter anderem prozessbezogene Risikoanalysen durchführen.
Wenn es darum geht, die Prozesse möglichst kundenorientiert zu gestalten, werden die nacheinander erfolgenden Kontakte zwischen den Kundinnen bzw. Kunden und dem Unternehmen in Form von Customer-Journey-Maps abgebildet. Diese werden mit den Modellen der Prozesse verknüpft, die für ein möglichst optimales Kundenerlebnis sorgen sollen.
Abbildung 2 zeigt einen Ausschnitt aus einer Customer-Journey-Map mit einigen typischen Inhalten. Die Aktionen, die die Kundinnen und Kunden durchführen, sind in Phasen eingeteilt. Zu jeder Aktion ist der jeweilige Berührungspunkt mit dem Unternehmen aufgeführt. Die unterschiedlichen Erfahrungen, die die Kundinnen und Kunden an dem jeweiligen Berührungspunkt machen, ändert ihre Stimmung. Oft werden hierzu noch verschiedene „Schmerzpunkte“ vermerkt, also Faktoren, die dazu beitragen, dass die Erfahrungen als negativ empfunden werden.
In Abbildung 2 sind zudem Verbindungen zu den Prozessen enthalten, in denen die betreffenden Interaktionen stattfinden. Dies ist hilfreich, wenn die Ursachen für negative Erfahrungen gefunden und Verbesserungen entwickelt werden sollen.
Insgesamt können bei der Arbeit mit den Prozessen sehr umfangreiche Modell-Landschaften entstehen. Prozessmodellierungswerkzeuge unterstützen einen dabei mit Features wie Suchfunktionen, der Verwaltung unterschiedlicher Modellversionen, dem Vergleich verschiedener Modellvarianten und vielen mehr.
Analysen und Prozesskostenrechnung
Die miteinander verknüpften und mit verschiedenen Informationen angereicherten Modelle lassen sich auf vielfältige Weise analysieren. So kann man verschiedene Arten von Reports erzeugen. Beispielsweise enthalten Prozesssteckbriefe die jeweilige Modellgrafik und alle wichtigen Informationen zu einzelnen Prozessen. Ein anderes Beispiel ist ein Report, der alle prozessbezogenen Risiken aufführt.
Zum Teil können Reports und Analysen auch individuell konfiguriert oder programmiert werden. So generieren manche Unternehmen aus den Prozessmodellen spezielle Dokumentationen, wie sie für Qualitätsmanagement-Audits und ähnliche Überprüfungen erforderlich sind.
Mit einigen Tools kann man auch Prozesskostenrechnungen durchführen. Hierzu müssen zunächst zahlreiche Informationen ermittelt und im Tool erfasst werden, wie z. B. die Häufigkeiten, mit denen einzelne Aktivitäten durchgeführt werden, ihre durchschnittlichen Bearbeitungsdauern, die verwendeten Ressourcen mit ihren Kostensätzen usw. Daraus kann dann beispielsweise errechnet werden, wie teuer die einmalige Durchführung eines bestimmten Prozesses im Durchschnitt ist.
Simulation
Ein weiteres Analyseverfahren, das manche dieser Werkzeuge anbieten, ist die dynamische Prozess-Simulation. Die Grundidee besteht darin, eine große Zahl von Prozessdurchführungen automatisch durchzuspielen und auf diese Weise zu ermitteln, wie sich die Durchlaufzeiten entwickeln, oder an welchen Stellen sich „Flaschenhälse“ bilden, an denen sich Vorgänge stauen. Wenn man das Prozessmodell verändert und eine neue Simulation durchführt, kann man feststellen, ob die Änderung zu Verbesserungen geführt hat.
Voraussetzung für eine aussagekräftige Simulation ist eine gute Datenbasis. So muss man z. B. für eine Auftragsbearbeitung ermitteln, wie oft und mit welcher statistischen zeitlichen Verteilung neue Aufträge eingehen. Nur wenn die entsprechenden statistischen Verteilungen hinreichend gut mit der Realität übereinstimmen, lassen sich aus den Simulationsergebnissen verlässliche Aussagen über das tatsächlich zu erwartende Verhalten eines geplanten Prozesses gewinnen.
Mit herkömmlichen Mitteln ist es recht aufwändig, die erforderlichen Daten hinreichend genau zu ermitteln. Daher werden dynamische Simulationen vergleichsweise selten durchgeführt, wenn ausschließlich mit einem Prozessmodellierungs- und -analysetool gearbeitet wird. Setzt man hingegen Process-Analytics-Verfahren ein, bei denen Daten aus real durchgeführten Prozessen automatisiert erhoben werden, so verursachen Simulationen weniger zusätzlichen Aufwand.
Hingegen enthalten typische Prozessmodellierungswerkzeuge meist nur Analyseverfahren, bei denen die Modelle und die hinterlegten Informationen ausgewertet werden, d. h. sie unterstützen keine Messungen des tatsächlichen Prozessgeschehens.
Fachliche Modelle zur Spezifikation von Anforderungen an die IT-Unterstützung
Bei der überwiegenden Zahl aller Prozessmodelle dürfte es sich um fachliche Beschreibungen der Prozesse und ihres Umfeldes handeln. Sie sind noch weitgehend unabhängig von konkreten softwaretechnischen Implementierungen. Oftmals erstrecken sich die modellierten Prozesse über mehrere IT-Systeme hinweg und umfassen auch manuelle Aktivitäten.
Im Zusammenhang mit IT-Projekten werden die zu unterstützenden Prozesse vielfach soweit detailliert, dass die Modelle als Teil der Anforderungsspezifikation für die Softwareentwicklung genutzt werden können. Über Schnittstellen lassen sich zudem BPMN-Modelle in die Modellierungskomponenten von Business-Process-Management-Systemen (BPMS) übertragen wo sie um technische Details erweitert und zur Ausführung gebracht werden können.
Einsatzbereiche
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Beiträge, die Prozessmodellierungswerkzeuge zu den unterschiedlichen Aufgabenbereichen im Zusammenhang mit der Prozessautomatisierung leisten können.
Aufgabenbereich | Erläuterung | |
Prozessdokumentation | ++ | Dies ist der typische Einsatzschwerpunkt für Prozessmodellierungswerkzeuge. |
Prozessanalyse | ++ | Häufig sind verschiedene Analysefunktionen integriert, z. B. zur statischen Analyse, zur Prozesskostenrechnung, zur Risikobewertung oder zur dynamischen Simulation. Durch die Verknüpfung mit weiteren Modellierungs-Sichten (wie Daten, Aufbauorganisation etc.) können auch diese Aspekte in die Analyse mit einbezogen werden. Die Modellinhalte können auf verschiedene Weise dargestellt und mit Hilfe vorgegebener oder selbst definierter Reports ausgegeben werden. Hierdurch können unterschiedliche Informationsbedarfe erfüllt werden. |
Prozessentwurf | + | Vielfach können unterschiedliche Modellversionen erstellt und Prozessmodelle verglichen werden. Damit lassen sich z. B. verschiedene mögliche Sollprozesse miteinander und mit den Istprozessen vergleichen. |
Prozessimplementierung | + | Über Import- und Exportschnittstellen können Prozessmodelle mit BPM-Systemen ausgetauscht werden. Geeignete Darstellungen und Exporte verschiedener weiterer Informationen (wie Organisation, Rollen oder Daten) dienen als weitere Grundlagen für die Implementierung. |
Prozessplanung | – | |
Prozesssteuerung | – | |
Ausführung der Arbeitsschritte | – | |
Prozesscontrolling | – | |
Process-Governance | + | Prozessmodellierungswerkzeuge unterstützen die korrekte und einheitliche Anwendung von Modellierungsnotationen und -richtlinien. Z. T. kann man die Modelle daraufhin analysieren, ob verschiedene Governance-Vorgaben eingehalten sind. |
++ Zentrales Einsatzgebiet der Technologie
+ Leistet einen Beitrag zu dem Aufgabenbereich, es ist aber nicht der Schwerpunkt.
– Kein wesentlicher Beitrag zu diesem Aufgabenbereich