„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte!“ Diese Erkenntnis ist der Grund dafür, dass Geschäftsprozesse zumeist grafisch dargestellt werden, beispielsweise in Form von Ereignisgesteuerten Prozessketten (EPKs) oder BPMN-Modellen („Business Process Modeling Notation“). Ist das jedoch immer die geeignete Darstellung? Und wie müssen Prozessmodelle gestaltet sein, damit sie möglichst verständlich sind?
Häufig begegnen einem Prozessmodelle, die alles andere als leicht nachvollziehbar sind. Berüchtigt sind quadratmetergroße „Prozesstapeten“ mit hunderten von Funktionen und Ereignissen, die über zahllose logische Verknüpfungen und ein Wirwarr an Pfeilen miteinander verbunden sind. Hier haben sich Modellierungsexperten ausgetobt, um eine möglichst exakte und vollständige Darstellung aller Prozessdetails zu erreichen. Verständlich sind diese Modelle für kaum jemanden als die Modellierer selbst. Um damit einen Prozess tatsächlich nachvollziehen zu können, müssen die möglichen Wege innerhalb der Grafik mit detektivischem Spürsinn verfolgt werden.
Umfrage: Verständnis komplexer Abläufe
Wann aber ist ein Prozessmodell verständlich? Diese Frage untersucht Jan Mendling von der Wirtschaftsuniversität Wien. Kürzlich führte er hierzu eine Umfrage durch. Hierbei konzentrierte er sich auf die Nachvollziehbarkeit des Kontrollflusses, wenn ein Prozessmodell viele Verzweigungen und Zusammenführungen enthält. Die Teilnehmer bekamen einige vereinfachte EPK-Modelle vorgelegt, zu denen sie Fragen beantworten mussten. Das größte Modell enthielt 21 Funktionen und 15 logische Verknüpfungen. Beim Typ der logischen Verknüpfungen handelte es sich ausschließlich um „UND“ (zur Darstellung parallel durchlaufener Pfade) und „XOR“ (zur Darstellung alternativ durchlaufener Pfade). Anhand eines solchen Modells musste etwa herausgefunden werden, ob eine bestimmte Funktion mehrfach durchlaufen werden kann, ob zwei Funktionen beide innerhalb desselben Prozessdurchlaufs durchgeführt werden können, oder ob der Prozess „verklemmen“ kann (so dass es nicht mehr weitergeht).
Die wissenschaftliche Auswertung der Umfrage läuft noch. In einer ersten Information an die Umfrageteilnehmer wurden jedoch bereits drei Faktoren genannt, die entscheidend für die richtige Beantwortung der Fragen waren: Zum einen eine gute Aufteilbarkeit des Modells in klar abgrenzbare Teilmodelle, zum anderen die Modellierungskenntnisse des Befragten, und zum Dritten die Länge der gestellten Frage. Die Länge der gestellten Frage hat sicherlich damit zu tun, wie komplex die anhand des Modells zu lösende Aufgabe war.
In einem Aufsatz berichtet Mendling von einer vorangegangenen Untersuchung mit Studierenden mehrerer Hochschulen aus verschiedenen Ländern. Auch hier spielten die Modellierungskenntnisse eine wichtige Rolle, insbesondere aber auch die Komplexität des Modells. Eine hohe Zahl von Verbindungskanten im Modell sowie viele ein- und ausgehende Kanten pro modelliertem Element erschwerten das Verständnis. Interessanterweise können schon kleine Änderungen, etwa die Änderung eines OR (inklusives Oder, bei dem auch mehrere der ausgehenden Kanten parallel gewählt werden können) in das exklusive XOR (nur genau eine ausgehende Kante wird gewählt), dazu führen, dass nur noch wenige Befragte das Verhalten des Prozesses korrekt bestimmen konnten. Eine ergänzend durchgeführte Expertenbefragung bekräftigte die Befunde teilweise, z. T. wurden aber auch weitere Aspekte genannt, etwa die Rolle, die textuelle Beschreibungen für das Verständnis eines grafischen Modells spielen können.
Modelle: Möglichst einfach und geradlinig
Wie also müssen Modelle beschaffen sein, um verstanden zu werden? Das Prinzip „weniger ist oft mehr“ kann ein guter Ratgeber sein. Sicher: wenn der Kontrollfluss als Spezifikation für die Software-Entwicklung dokumentiert wird, oder wenn ein Workflow-Modell automatisch ausgeführt werden soll, kommt man nicht umhin, sämtliche Details zu modellieren. Geht es aber darum, dass nicht nur die Prozess- und Modellierungsexperten sondern möglichst alle Mitarbeiter die Prozesse verstehen, schrecken zu viele Details ab. Riesige Modelle mit komplizierten Verzweigungen, Schleifen und zahllosen Verknüpfungen machen ein Modell schlicht unlesbar. Selbst ein Modellierungsexperte versteht ein solches Modell nicht unmittelbar. Auch er muss sich die möglichen Pfade Schritt für Schritt erarbeiten.
Will jemand einen Prozess verstehen, so sollte das Modell möglichst einfach und geradlinig sein. Die prinzipielle Reihenfolge der wichtigen Prozess-Schritte, wie sie im Normalfall ausgeführt werden, genügt zunächst. Mehr als ein oder zwei Verzweigungen, die die grundlegenden Alternativen oder Parallel-Abläufe darstellen, sind zuviel. Ebenso verwirren mehr als ein oder zwei Rücksprünge. Kann man das Modell nicht mehr gut lesbar auf einer DIN A4-Seite unterbringen, ist es zu groß.
Nun sind reale Prozesse aber oftmals komplex und weisen auch nach Prozessoptimierungen und Verschlankungen zahlreiche Verzweigungsmöglichkeiten, Schleifen und Abhängigkeiten zu anderen Prozessschritten auf. Wie kann man dies sinnvoll und verständlich abbilden? Eine Möglichkeit besteht darin, zu einem Prozess mehrere Modelle zu erstellen, die alternative Ablaufmöglichkeiten darstellen. Der Betrachter kann sich dann jeweils auf die gerade dargestellte Variante konzentrieren.
Gute Modelle kombinieren Grafik mit Text
Eine andere Möglichkeit ist der weitgehende Verzicht auf komplexe, mehrfach miteinander verknüpfte logische Operatoren. Verwendet man stattdessen eine simple Verzweigung ohne logischen Operator und hinterlegt die Verzweigungsregeln in einem Attribut als beschreibenden Text, so wird das Modell übersichtlicher und die Logik besser nachvollziehbar.
Überhaupt wird die Möglichkeit, Modelle mit erläuterndem Text zu versehen, leider viel zu wenig genutzt. Die vielen Sonderfälle und Ausnahmen, die Prozessmodelle so kompliziert machen, lassen sich oftmals durch einen knappen Text kürzer, prägnanter und verständlicher beschreiben als durch die grafische Darstellung. Wenn Sie einfach schreiben, dass bis zu einem gewissen Punkt in dem Prozess eine Stornierung möglich ist, woraufhin bis dahin vorgenommene Reservierungen aufgehoben und ggf. bereits erfolgte Zahlungen rückerstattet werden, ist dies leicht nachvollziehbar. Fügt man dagegen nach jeder Funktion eine Verzweigung zur Stornierung ein und modelliert die verschiedenen Stornierungsmöglichkeiten bei unterschiedlichen Reservierungsständen und erfolgten Zahlungseingängen aus, so bedeutet dies nicht nur einen großen Modellierungsaufwand. Es vermindert auch die Lesbarkeit und die Akzeptanz des Modells.
Nicht für alle Informationen eignen sich grafische Darstellungen am besten. Werden zu jeder Funktion das unterstützende Anwendungssystem sowie In- und Outputdaten angegeben, so bringt die Darstellung als Funktionszuordnungsdiagramm nicht viel Zusatznutzen. Eine tabellarische Darstellung, die vielleicht beim Überfahren der Funktion mit dem Mauszeiger eingeblendet wird, ist hier mindestens ebenbürtig. Und dem Verständnis der Modelle und den verwendeten Bezeichnungen und Abkürzungen dient es etwa, wenn man aus den Beschriftungen im Modell per Hyperlink auf ein Glossar verzweigen kann. Hierzu ist kein grafisches Fachbegriffsmodell erforderlich, ein ganz gewöhnlicher Text genügt hier.
Die Konzentration auf die grafische Modellierung, die auch durch die gängigen Modellierungstools gefördert wird, lenkt häufig davon ab, dass gelegentlich auch Text die geeignetere Darstellungsform sein kann. Ziel sollte es sein, Grafik dort einzusetzen, wo sie dem Überblick und dem Verständnis dient. Wo sie eher verwirrt, lässt sich manches leichter durch Text ausdrücken. Erst in der geeigneten Kombination aus Grafik und Text entstehen gut verständliche Prozessmodelle.
Zitierte Quellen:
J. Mendling, H.A. Reijers, J. Cardoso: What Makes Process Models Understandable? In : Proc. of the the 5th International Conference on Business Process Management (BPM 2007), 24-28 September 2007, Brisbane, Australia. Lecture Notes in Computer Science Volume.