Zum Abschluss des Process Solution Day wurde auch in diesem Jahr der „Process Solution Award“ verliehen. Ausgezeichnet werden besonders vorbildliche Projekte, die mit Hilfe von BPM-Technologie realisiert wurden. Hierbei bewerben sich das Anwenderunternehmen und der jeweilige Technologieanbieter gemeinsam. Als Mitglied der Jury durfte ich die Einreichungen begutachten. Das war dieses Jahr sehr interessant, denn es gab eine Reihe von Bewerbungen, die alle nicht nur die Implementierung einer IT-Lösung umfassten, sondern diese wirklich als Teil eines umfassenden Prozessmanagement-Ansatzes realisiert hatten. In diesem Zusammenhang zeigte sich auch, dass es kaum ein Projekt gab, dass nur zu einer der Wettbewerbskategorien BPMS oder Prozessmodellierung passte. So münden auch Prozessmodellierungsinitiativen zunehmend in Implementierungen von Systemen zur Prozessausführung – und sei dies zunächst auch „nur“ für die Dokumentenlenkung. Umgekehrt räumen auch die Prozessautomatisierungsprojekte der fachlichen Modellierung einen zunehmenden Raum ein.
In der Kategorie Prozessmodellierung gewann ein Projekt von 1&1 zur Neugestaltung des Prozesses zur Bereitstellung eines DSL-Anschlusses (Technologiepartner: Signavio). Dies ist ein recht komplexer Prozess mit zahlreichen involvierten Vertragspartnern, der eine hohe strategische Bedeutung für das Unternehmen hat. Auch wenn letztlich wiederum eine durchgängige Automatisierung dieses Prozesses angestrebt ist, wurde er dennoch in der Kategorie „Prozessmodellierung“ ausgezeichnet. Grund hierfür ist der umfassende Modellierungsansatz, der bei 1&1 umgesetzt wurde. Die Zusammenarbeit von Fachseite und IT erfolgt mit Hilfe einer abgestimmten Methodik unter Nutzung eines gemeinsamen Prozessrepositories und des Modellierungsstandards BPMN. Dabei werden die fachlichen Modelle und die Implementierung synchron gehalten.
Besonders spannend finde ich auch das Projekt, das den ersten Platz in der BPMS-Kategorie gewann. Hierbei handelt es sich um die Automatisierung des Fast Close-Prozesses in der Talanx-Versicherungsgruppe (Technologiepartner: Soreco). Hierbei handelt es sich um den Prozess zur Erstellung von Monats-, Quartals- und Jahresabschlüssen für den gesamten Konzern, bei dem die Zahlen von über 150 Tochtergesellschaften weltweit zusammengeführt werden müssen. Das ist ein sehr großer Prozess mit über 600 Prozessbeteiligten. Im Gegensatz zu typischen Standardprozessen (wie z. B. einer Auftragsabwicklung), die beim Eintreten des Startereignisses einfach von einer Process Engine von vorne nach hinten abgearbeitet werden, erfordert der Fast Close-Prozess eine genaue Planung von Terminen und Zeiten. Dies ist vergleichbar mit der Planung eines Projektes mit Hilfe eines Projektmanagementsystems.
Die entwickelte Lösung integriert nun die Zeit- und Kapazitätsplanung mit den Funktionen eines BPMS zur Prozessteuerung und -verfolgung. Hierdurch wird sichergestellt, dass der jeweilige Abschluss nicht nur schneller erstellt, sondern auch zum gewünschten Zieltermin fertig wird. Drohende Verzögerungen werden frühzeitig erkannt und können durch Gegenmaßnahmen verhindert werden. Das System hilft bei der Abstimmung der individuellen Planungen der Tochtergesellschaften mit dem Gesamt-Terminplan. Hierdurch kann den Tochtergesellschaften eine hohe Autonomie gewährt werden ohne dass die Gesamtplanung gefährdet wird. Der Prozess ist auch nicht endgültig festgelegt. So können verschiedene Prozessbeteiligte je nach konkreten Anforderungen benötigte Vorleistungen beauftragen. Diese Aufträge werden dann in den Zeitplan eingefügt und durch die Process Engine an die betreffenden Bearbeiter weitergeleitet. Bei diesen umfangreichen Anforderungen ist es kein Wunder, dass Talanx auf dem Markt keine fertige Lösung fand und diese erst gemeinsam mit Soreco entwickeln musste.