Wie gut sind wir eigentlich? Wo stehen wir im Vergleich zu anderen? Wo gibt es noch Verbesserungsbedarf? Reifegradmodelle helfen bei der Beantwortung dieser Fragen. Mit Hilfe eines umfangreichen Kriterienkataloges lässt sich bestimmen, welchen Reifegrad eine Organisation oder ein Projekt hat. Der unterste Reifegrad steht meist für „völlig chaotisch“, der oberste für „perfekt, selbstoptimierend“.
Nun hat die aus dem Bereich der Software-Entwicklung bekannte Object Management Group (OMG) mit dem Business Process Maturity Modell (BPMM) ein Reifegradmodell zur Bewertung des Geschäftsprozessmanagements entwickelt.
Bevor Sie das 486 Seiten starke Dokument komplett lesen, können Sie sich in diesem Beitrag über Aufbau und Inhalt des BPMM informieren und eine erste Einschätzung über die praktische Anwendbarkeit erhalten.
Reifegradmodelle
Ein sehr bekanntes Reifegradmodell ist etwa CMMI (Capability Maturity Model Integration) des Software Engineering Institutes der Carnegie Mellon University. Ursprünglich für die Software-Entwicklung entwickelt, wurden zwischenzeitlich weitere Modelle für die gesamte System- und Produktentwicklung integriert. Mittlerweile sind in diesem Umfeld weitere Reifegradmodelle entstanden, etwa für die Beschaffung (CMMI Acquistion Module, CMMI-AM) oder für Personalmanagement und
Der Herausgeber des BPMM, die OMG, ist ein Industriekonsortium, das sich bisher vor allem um Standards im Bereich der Software-Entwicklung und -Architektur gekümmert hat, z. B. um die von vielen Informatikern eingesetzte UML (Unified Modeling Language). Zwischenzeitlich hat die OMG auch das Thema Geschäftsprozessmanagement entdeckt. So wird etwa die grafische Prozessmodellierungsmethode BPMN (Business Process Modeling Notation) unter dem Dach der OMG weiterentwickelt.
Von „Initial“ bis „Improving“: Fünf Reifegrade
Wer sich mit dem BPMM auseinandersetzen will, wird zunächst mit einem 486 Seiten starken, detaillierten Dokument konfrontiert, das sich von der OMG-Website kostenlos herunterladen lässt: BPMM, Beta 1. Um sich in diesem Dokument zurechtzufinden sollte man sich zunächst mit der Grundstruktur dieses Reifegradmodells vertraut machen. Das BPMM sieht insgesamt 5 Reifegrade (Maturity Levels) vor:
- Initial: Auf dieser untersten Stufe befindet sich jedes Unternehmen, in dem überhaupt kein Prozessmanagement stattfindet, wo die Prozesse also weitgehend ungeplant ablaufen.
- Managed: Prozesse sind definiert und wiederholbar, Abteilungen managen ihre (Teil-)prozesse isoliert.
- Standardized: Es sind unternehmensweite, standardisierte „end-to-end“-Prozesse definiert.
- Predictable: Es findet eine quantitative Planung und Überwachung der Prozesse statt, um vorhersagbare Ergebnisse zu erzielen.
- Innovating: Die Prozesse werden kontinuierlich weiterentwickelt und verbessert.
Die Stufen bauen aufeinander auf: Ein Unternehmen, das Stufe 4 erreicht hat, erfüllt gleichzeitig alle Anforderungen der Stufen 1 bis 3. Konkrete Anforderungen zur Erreichung jeder Stufe sind im BPMM für verschiedene Prozessbereiche (process areas) definiert.
Prozessbereiche: Fünf Gruppen
Prozessbereiche lassen sich in folgende 5 Gruppen (process area threads) einteilen:
- Organizational Process Management: Aufbau und Weiterentwicklung des Prozessmanagements. Die Hauptverantwortung liegt bei der Unternehmensleitung.
- Organizational Business Management: Planung, Ressourcenbereitstellung, Steuerung auf Unternehmensebene. Die Hauptverantwortung liegt bei der Unternehmensleitung.
- Domain Work Management: Management der Produkt- und Service-Erstellung, -Lieferung und -Unterstützung. Die Hauptverantwortung liegt beim mittleren Management.
- Domain Work Performance: Die Produkt- und Service-Erstellung, -Lieferung und -Unterstützung selbst. Die Verantwortung liegt bei den operativ tätigen Mitarbeitern.
- Organizational Support: Unterstützende Aktivitäten, z. B. zur Vorbereitung, Überprüfung und Überwachung der Kern-Aktivitäten. Die Verantwortung liegt bei den unterstützenden Organisationseinheiten.
Welche Prozessbereiche aus den fünf Gruppen für welchen Reifegrade relevant sind, zeigt die nebenstehende Abbildung (BPMM, Beta 1, S. 91). Der Begriff „Work Unit“ in der Abbildung bezeichnet eine ausführende Organisationseinheit.
Ziele und Verfahren
Für jeden Prozessbereich definiert das BPMM zu erreichende Ziele. So gibt es etwa für den Bereich „Organizational Process Management“ auf Level 3 die folgenden bereichsspezifischen Ziele:
- Die Stärken und Schwächen der Unternehmensprozesse sind bekannt, Verbesserungen sind erfolgt.
- Für die operativen Aufgaben sind Standardprozesse etabliert.
- Die Unternehmensprozesse werden laufend analysiert und verbessert.
Außerdem ist noch das für alle Prozessbereiche geltende Ziel der Institutionalisierung zu erfüllen, d.h. die Verfahren zur Erreichung der oben genannten spezifischen Ziele müssen im Unternehmen etabliert und dauerhaft verankert werden.
Für die Ziele sind wiederum Verfahren (practices) angegeben, die zur Erreichung des Ziels dienen. Beispielsweise sind für die drei genannten Ziele insgesamt 13 Verfahren definiert. Hierzu gehören etwa die Festlegung von Prozesszielen und -anforderungen, regelmäßige Prozess-Reviews, die Festlegung von Standardprozessen und Regeln zu ihrer Anpassung an spezielle Gegebenheiten („Tailoring“), sowie die Verbreitung und Implementierung der festgelegten Prozesse im ganzen Unternehmen. Ein Verfahren kann auch mehrere Ziele unterstützen.
Die ausführliche Beschreibung der Anforderungen an diese Verfahren nimmt den Großteil des BPMM-Dokuments ein. Allerdings bezweckt das Modell lediglich darzustellen, was zu tun ist, nicht wie es getan wird. Für konkrete Werkzeuge und Methoden werden lediglich Beispiele genannt, etwa Six Sigma-Methoden im Bereich der quantitativen Prozessanalyse.
Defizite im Bereich Prozessorganisation
Ist das Modell für eine Bewertung und Einstufung des Prozessmanagements im Unternehmen geeignet? Auf jeden Fall enthält es eine riesige Menge nützlicher und sinnvoller Kriterien und Maßnahmen, die im Rahmen eines Prozessmanagements erforderlich sind. Von daher lohnt sich zumindest die nicht ganz einfache Lektüre des umfangreichen Dokuments.
Dennoch gibt es eine Reihe von Defiziten, so etwa in den Bereichen Prozessorganisation und Prozessverantwortung. Es wird zwar auf die Verantwortung des Managements für das Prozessmanagement verwiesen und eine Abstimmung von Unternehmens- und Bereichszielen mit prozessbezogenen Zielen gefordert. Doch wird weder die Benennung von Prozessverantwortlichen noch eine Ausrichtung der Aufbauorganisation an den Geschäftsprozessen thematisiert.
Eine Reihe der aufgestellten Ziele entspricht einfach gutem Management, ohne speziell auf Geschäftsprozesse ausgerichtet zu sein. Im Prozessbereich „Organizational Business Governance“ wird etwa ganz allgemein gefordert, dass die Aktivitäten der einzelnen Organisationseinheiten auf die Unternehmensziele abgestimmt und von der Unternehmensleitung genehmigt und überwacht werden. Hier wird explizit von einer unveränderten Aufbauorganisation ausgegangen. Dies könnte dazu führen, dass einzelne Teilprozesse mit großem Aufwand verbessert werden, wobei gleichzeitig wesentlich größere Optimierungspotenziale einer aufbauorganisatorischen Änderung übersehen werden.
Besonders erstaunlich ist es, dass das Thema IT-Unterstützung der Geschäftsprozesse praktisch nicht thematisiert wird. Zumal die OMG als Organisation ansonsten fast ausschließlich im Bereich Software-Entwicklung und -Architektur tätig ist.
Nur mit Anpassungen einsetzbar
Das BPMM kann seine Herkunft aus den Bereichen Qualitätsmanagement und Software-Entwicklung (CMMI) nicht verleugnen. So finden sich etwa zahlreiche nützliche Hinweise auf die Prozessüberwachung und -messung. Andererseits ist eine Reihe von Anforderungen etwa hinsichtlich der quantitativen Planung von Prozessen für viele Unternehmen nicht geeignet. Eine Vielzahl qualitätsbezogener Anforderungen finden sich zudem auch in verschiedenen Normen, z. B. ISO 9000 oder TS 16949 (Automobilindustrie). Unternehmen, die nach derartigen Normen zertifiziert sind, erfüllen bereits viele Anforderungen aus dem BPMM. Leider wird nicht näher erläutert, wie das BPMM mit solchen Normen zusammenspielt.
Einige Anforderungen stammen wohl ursprünglich aus dem CMMI. So sind beispielsweise umfassende Anforderungen an ein Konfigurationsmanagement in der Software-Entwicklung und auch bei komplexen technischen Produkten durchaus angemessen, spielen in anderen Unternehmen mit vergleichsweise einfachen Produktstrukturen hingegen eine weniger wichtige Rolle. Eine Anpassung an das eigene Unternehmen ist somit auf jeden Fall erforderlich.
Fazit: Das BPMM stellt nützliche Anregungen für Unternehmen bereit, die die Reife ihres Prozessmanagements überprüfen wollen. Insbesondere wenn es darum geht, stabile, ordnungsmäßige Prozesse nachzuweisen, sie zu messen und zu überwachen, lohnt sich eine Beschäftigung mit dem BPMM. Von einer unveränderten Anwendung des BPMM ist aufgrund seiner Komplexität, vieler nicht für alle Unternehmen gleichermaßen relevanten Kriterien sowie einiger fehlender Aspekte abzuraten.
Hallo zusammen,
ich beschäftige mich erst seit kurzen mit Reifegradmodelle, daher stellt sich mir die Frage, in wieweit die Vorteilen von BPMM zu CMMI liegen?
Vielen Dank im Voraus.
Hallo Fabian,
CMMI befasst sich konkret mit den Prozessen der System- und Produktentwicklung. Das BPMM befasst sich mit dem Prozessmanagement insgesamt. Es beinhaltet allgemeine Kriterien, die für jeden Prozess von Bedeutung sind. CMMI stellt hierzu praktisch eine Konkretisierung und Ergänzung speziell für die Entwicklungsprozesse dar.
Viele Grüße
Thomas Allweyer
Hallo,
Das stimmt so nicht ganz: CMMI liegt in 3 verschiedenen Versionen vor, von denen sich CMMI-SVC (for Services) mit der Dienstleistungserbringung und auch detailliert mit dem Prozessmanagement eines Unternehmens bzw. einer Organisation befasst. Dazu sind 5 Prozessgebiete, vom 3. bis zum 5. Reifegrad, definiert.
Gruß