Manche Kundentage von Beratungs- und IT-Firmen sind langweilig oder nerven mit zu viel Marketing. Die Camunda wählte mit der ersten BPMCon vergangene Woche in Berlin ein anderes Konzept. Vorträge im klassischen Sinne gab es nur sehr wenige. Dafür konnten die Teilnehmer in Workshops selbst aktiv werden. Und am Abend gab es noch eine „Pecha Kucha“-Session mit Kurzvorträgen über Projekte und innovative Ansätze zum BPM.
Für reichlich Diskussionsstoff sorgte bereits die Keynote des Autors Gerhard Wohland. Das Thema, mit dem er sich schon länger beschäftigt, wird aktuell an vielen Stellen diskutiert: Der Umgang mit stark strukturierten und gut planbaren Prozessen einerseits und wenig strukturierbarem, großenteils unvorhersehbarem Geschehen andererseits. Die Stichworte zu den strukturierten Elementen schrieb er mit einem blauen Stift, für die dynamische Seite benutzte er einen roten Stift. Diese Unterscheidung zwischen „blauen“ und „roten“ Elementen zog sich anschließend durch die Diskussionen des ganzen Tags.
Für blaue Themen eigne sich die klassische Prozessgestaltung gut, sie gibt Antwort auf die Frage wie etwas gemacht werden soll. Für rote Fragestellungen hingegen sei dieser Ansatz komplett ungeeignet. Hier sei die Frage wer ein bestimmtes Problem am besten lösen kann. Daher komme es vor allem darauf an, die richtigen Talente zu finden.
Der klassische BPM-Ansatz sei sehr wichtig, um die blauen Anteile zu optimieren und auch zu automatisieren. Mit diesen dürfe man sich aber keinesfalls in den roten Bereich verirren.
Wohland schätzt, dass beispielsweise bei Toyota etwa 95% aller Aktivitäten in den blauen Bereich gehören. Dafür spielten die restlichen 5% eine zentrale Rolle für den Erfolg. Mit diesen Zahlen widerspricht Wohland häufig zu lesenden Schätzungen, dass heutzutage 70-80% aller Prozesse wissensintensiv und nicht eindeutig strukturierbar seien.
Jakob Freund von Camunda griff die Thematik in seinem Vortrag auf.Er verwies auf die schlechten Erfahrungen der Vergangenheit mit zu umfassenden und komplexen Prozessmodellen, die letztlich als „Schrankware“ endeten. Mit aktuellen BPM-Ansätzen und Werkzeugen, sowie Notationen wie BPMN, sieht er gute Möglichkeiten, die blauen Anteile in den Griff zu bekommen. Bezüglich der roten Anteile betrachtet er die aktuellen Diskussionen um Adaptive Case Management und Social BPM mit Interesse, aber auch einer gewissen Skepsis. Hier gebe es noch keine endgültigen Lösungen.
Natürlich spielte auch die Open Source-Engine Activiti, an deren Entwicklung Camunda beteiligt ist, eine wichtige Rolle. Das Produkt „Camunda Fox“ erweitert die Werkzeugpalette der BPM-Entwickler um die zentrale Plattform „Cycle“, mit der sich alle Artefakte im Laufe der Prozessentwicklung verwalten lassen. Die Plattform ermöglicht zudem den Roundtrip zwischen fachlichen und ausführbaren Modellen.
Eine lebhafte Diskussion entspann sich um die Frage, ob sich agile Methoden nicht nur für die eigentliche Systementwicklung, sondern auch für die Prozessaufnahme und -optimierung geeignet sei. Teilnehmer berichteten aus der Praxis, dass sie auch fachlich orientierte Scrum-Teams hätten, deren Sprints mit denen der Entwicklung synchronisiert seien.
Mit Spannung war schließlich die Pecha Kucha-Vortragsrunde erwartet worden. Für die meisten Vortragenden war dies das erste Mal, dass sie in dieser Form präsentierten: Genau zwanzig Folien, die automatisch in sechseinhalb Minuten durchlaufen. Der Erfolg gab den Veranstaltern recht: Allen Rednern gelang es problemlos, die wichtigen Informationen verständlich und kompakt zu präsentieren. Und so gab es einen kurzweiligen Überblick über Kundenprojekte, Forschungsprojekte und aktuelle BPM-Themen. Wer vertiefende Informationen wünschte, diskutierte beim anschließenden Grillabend mit den Referenten weiter. Die Besucher sprachen sich faste einhellig für weitere Pecha Kuchas auf der nächsten Tagung aus.
Als einer der vortragenden der Pecha Kucha kann ich bestätigen, dass diese BPM-Veranstaltung eine der eher unüblicheren war, und dabei sehr gut gefallen konnte. Ich habe meine Fazits ebenfalls niedergeschrieben, siehe
http://www.saperionblog.com/fazits-von-der-bpmcon-2011-angst-versus-liebe/5043/
Leider war ich nicht in dem Workshop „agiles BPM“, aber ich hatte die Gelegenheit mit dem Moderator als auch einem der Teilnehmer das Thema in mehreren quasi vorbereitenden Workshops zu bearbeiten. Ich hatte jeweils berichtet:
http://www.saperionblog.com/tag/agiles-bpm/
(die unteren drei Artikel der Liste)
Der Tag in Berlin war sehr aufschlussreich und das ganze war eine sehr gelungene BPM-Veranstalltung. Zu der rot/blau Diskussion will ich nur ergänzen, das Gerhard Wohland und die BPMN-Community unterscheidlicher Meinung sind. Der blaue Anteil sthet für die Struktur. Hier werden Ergebnisse beschrieben bevor sie stattgefunden haben. Das geht nur bei Standardaufgaben mit hohen Durchläufen. Hier ist die Aufgabe, das BPMN Diagramme die Abläufe visualisieren, vereinheitlichen und IT-gestützt automatisieren -> Mitarbeiter von den trivialen Aufgaben entlasten. Hier ist Wissen (Def. nach Wohland „Aussagegen gegen die keiner wiedersprechen kann“ hlfreich. Für die roten Anteilen gibt es keine Antwort auf das WIE? Auf etwas das es bisher nicht gibt, das nur im lebendigen Bewusstsein besteht ist die einzige Löung für Unternehmenslenker das WER, die Suche nach dem Talent die ohne Angst mit eigenen Ideen das Problem lösen. (Def. nac Wohland „Probleme entschehen, wenn die Sachverhalte nicht ignoriert werden können. Ein Problem nebensächlicher Qualität wird vom Mitarbeiter im Vertrauen des Management gelöst. Intelligenz entsteht durch Ignoranz;-)) Hier sind Talente gefragt. An sich ist diese Antswort unbefriedigend. Weder ACM oder Cloud Lösungen kommen hier in Frage, auch wenn der Vortrag von Dr. Anne Rozinat, Fluxicon zum „Process Mining“ interessant war. Die roten und blauen Anteile sind zwei verschiedene Sachverhalte einer Welt die unterschiedlich betrachtet werden müssen. Von daher kann ich dem Vortrag „Quo Vadis BPM“ nur beipflichten. Lasst uns das machen was wir mit unseren Werkzeugen können – oder anders ausgedrück – auf der Suche nach dem trivialen Schatz, damit die Mitarbeiter zeit für den Kunden haben.