Gemeinhin wird argumentiert, dass Business Process Management-Systeme (BPMS) mit dazu beitragen, die Kluft zwischen Business und IT zu reduzieren. Der Grund: Der Weg vom fachlichen Prozessmodell zur Ausführung ist wesentlich direkter als bei klassischen Entwicklungsparadigmen und Architekturen.
In Wahrheit sei das Gegenteil ist der Fall. BPMS trügen in der Praxis dazu bei, die Kluft zwischen Business und IT zu erhalten, behauptet Terry Schurter in seinem Paper http://www.tschurter.com/BPM_State_of_the_Nation2009.pdf . In der Praxis sei der Markt im Bereich Business Process Management zweigeteilt: Auf der einen – der technischen – Seite stehen die Hersteller von Process Engines zur Prozessausführung, auf der anderen, der Business-Seite, die Management-Berater und die Hersteller von Prozessmodellierungs- und Analysetools. Es hätten sich zwei völlig getrennte Märkte herausgebildet. Die technischen Diskussionen, formalen Modelle usw. des „technischen Business Process Management“ seien für die Vertreter des fachlichen, des „‚Business‘ Business Process Management“ (Zitat), völlig irrelevant.
Obwohl sämtliche Analysten ständig steigende Umsätze im BPM-Markt prophezeien, wundern sich die Hersteller von BPMS, warum der Markt bisher nicht richtig durchstartet. Der Grund sei, dass die gegenwärtige BPMS-Technologie für viele Bereiche weitgehend ungeeignet sei. BPMS seien gut für die Integration von Systemen (als Weiterentwicklung der EAI-Systeme) und zur Abwicklung stark strukturierter Abläufe, die sich gut über die Abarbeitung von „Task Lists“ erledigen lasse. Für die meisten von Mitarbeitern ausgeführten Prozesse eigne sich die strenge Task-Listen-Logik hingegen nicht.
Nötig seien vielmehr flexible, anpassbare Systeme, die sich nahtlos in die gewohnte Arbeitsumgebung der Mitarbeiter integrieren und ad hoc-Prozesse ermöglichen. Die Arbeit mit Tools zur Prozessunterstützung dürfe keine Zusatzarbeit und kein Bevormunden der Mitarbeiter bedeuten. Nützlich wäre es, wenn Systeme beobachten würden, wie Prozesse tatsächlich ablaufen und dies in Beziehung zu Kontextinformationen setzen würden, um z. B. zu ermitteln, welche Vorgehensweisen besonders erfolgreich sind.
Zwar könne der Einsatz von BPMS Kostenvorteile durch Systemintegration und gesteigerte Prozesseffizienz bringen, doch liege der Fokus vor allem auf internen Abläufen. Meist würden keine grundlegenden Prozessinnovationen erreicht und das Erlebnis des Kunden in der Interaktion mit dem Unternehmen würde keineswegs verbessert.
Um tatsächliche Verbesserungen der Ende-zu-Ende-Prozesse zu erreichen setzt Schurter auf organisatorisches Change Management und „Customer Experience Management“.
Schurters Thesen klingen provokativ, doch enthalten sie definitiv mehr als nur einen Funken Wahrheit. Wer einmal eine Konferenz mit auf der Business-Ebene angesiedelten Prozessmanagern besucht hat und anschließend auf eine eher technisch ausgerichtete „BPM“-Konferenz geht, kann den Eindruck gewinnen, auf einem anderen Planeten gelandet zu sein.
Bin zwar mit Terry nicht immer einer Meinung, aber mit der Feststellung liegt er richtig. Der Brückenschlag von Business und IT kann durch BPM unterstützt werden, aber bestimmt nicht durch einen BPMS-Einsatz, der konzeptfrei d.h. ohne Managementkonzept, im Raum schwebt. Was durch BPMS in dieser Situation hervorgerufen wird, ist näher an EAI dran als an Prozessmanagement. Kein Wunder, dass sich die BPMS-Anbieter nach anfänglicher Euphorie wieder in der Workflow-System-Nachfolger-Ecke sehen. Bezeichnend leider auch, dass sie hierauf bislang keine Antwort gefunden haben.
Ich kann dieser Aussage nur zustimmen. Es handelt sich um zwei völlig unterschiedliche Disziplinen. Allerdings nutzen beide Disziplinen BPM als Bezeichnung, was zu einer unendlichen Verwirrung unter den Nutzern führt. Klar, Workflow ist begrifflich ein alter Hut, beschreibt aber nun mal genau, was hier versucht wird. Dumm nur, dass wir nun 1 Begriff mit 2 sehr unterschiedlichen Bedeutungen haben.
Herr Schurter hat mit seiner Aussage, dass zur Zeit keine Innovationsprozesse angestoßen werden, leider recht.
Dies liegt allerdings nicht vorrangig an den existierenden BPMS, sondern viel mehr an der teilweise geringen Bereitschaft der Verantwortlichen die Unternehmensstruktur zu überdenken und sich von alten Arbeitsmethoden zu verabschieden.
So werden in der Praxis mit BPMN oftmals Kommunikationswege und Abläufe in der Funktionsorganisation modelliert.
Sinnvoller ist es, die Funktionsorganisation durch eine Prozessorganisation zu ersetzen.
Die in der Regel damit verbundenen Freiheiten der Mitarbeiter, Prozesse selbstständig zu optimieren bzw. mitzugestalten, erhöhen die Mitarbeiterzufriedenheit ungemein und somit im Endeffekt auch die Kundenzufriedenheit.
BPMN wird dann seine Stärken im fachlichen Bereich ausspielen, wenn es in Verbidung mit dem allgemeinen Geschäftsprozessmanagemnt genutzt wird.
“Customer Experience Management”?
Ich kenne von ihm das „Customer Expectation Management“.
In seinem Text sind die Aspekte des Adaptive Case Management herauszuhören, sprich die 60-80% unstrukturierten Prozesse, wie sie Analysten von Gartner und Forrester seit etwa 2 Jahren im Bereich der Wissensarbeiter ausgemacht haben.
Wir von SAPERION haben uns immer gefragt, warum so wenige unserer Kunden nur das Content Management kaufen aber nicht auch das Workflow Management dazu. Auch wir sehen, dass 80% der Kunden damit auskommen, Zugriff auf ihren unstrukturierten Content zu erhalten, wenn er benötigt wird. Nach Bedarf werden dann ad-hoc neue Dokumente erzeugt und mit Anderen ausgetauscht.
Das Adaptive wäre dann, den Anwender während seiner Arbeit zu beobachten und ihm bei der nächsten ähnlichen Situation die gleiche Aufgabe wieder anzubieten.
Das eine vollständige Modellierung dieser unstrukturierten Arbeiten in einem BPMN-Diagramm keinen Sinn macht, sollte einleuchten. Aber einen Happy Path kann man häufig schon erkennen und dann auch modellieren.
Ja, stimmt, es heißt „Customer Expectation Management“ – auch wenn in dem Paper öfters von „Customer Experience“ die Rede ist.
Bei der ganzen Diskussion um Case Management und bei der Forderung, die Wissensarbeiter sollen ihre Arbeit kreativ und frei gestalten, habe ich manchmal das Gefühl, wir schütten das Kind mit dem Bade aus. Teilweise sehe ich auch ein Stück Trägheit am Werk und die Furcht, sinnvolle Regeln anzuwenden und durchzusetzen. Ein völliges laissez-faire ist in den meisten Fällen auch keine gute Lösung.
Das Ziel sollte m. E. sein, soviel Freiheit wie möglich zu gewähren – dort wo es sinnvoll ist – aber auch soviele Regeln wie nötig, um z. B. die standardisierbaren Anteile der Arbeit effizient zu gestalten, Qualitätanforderungen einzuhalten, etc.
Abläufe und Systeme in dieser Weise zu gestalten ist aber aufwändig, weil man erst herausfinden muss, an welchen Stellen man freie Fahrt ermöglicht und wo man besser ein paar Leitplanken errichtet.
Laut Herrn Pucher sollte das mit ISIS Papyrus so gut geregelt sein. Ich werde mit das mal in Kürze anschauen.
Viele Grüße, Martin Bartonitz