August-Wilhelm Scheer ist sicherlich einer der führenden Köpfe im Bereich Geschäftsprozessmanagement. Über seine zahlreichen Veröffentlichungen, das ARIS-Konzept und die Software von IDS Scheer sind eine ganz große Zahl von Prozessmanagement-Initiativen beeinflusst worden. In jüngster Zeit ist er allerdings eher als BITKOM-Präsident in Erscheinung getreten, der die öffentliche Aufmerksamkeit erfolgreich auf IT-Themen und die Bedeutung der IT-Industrie gelenkt hat. Dennoch hat er sich noch längst nicht aus der fachlichen Diskussion über das Thema Prozessmanagement verabschiedet, wie sein Paper „BPM = Business Process Management = Business Performance Management“ zeigt.
Der Titel verweist darauf, dass die Abkürzung „BPM“ verschiedene Bedeutungen hat, neben „Business Process Management“ eben auch „Business Performance Management“. Und das ist für Scheer auch gar nicht so unpassend, verfolgen doch beide Konzepte das Ziel, die Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu steigern. Business Process Management verfolgt mit der Verbesserung der Geschäftsprozesse eher einen operativen Fokus. Business Performance Management ist globaler ausgerichtet und stellt finanzielle Kennzahlen in den Vordergrund. Wobei das eine Voraussetzung für das andere ist: „Die Ergebnisse der Geschäftsprozesse erzeugen die Finanz kennzahlen als Maßzahl der globalen Performance.“ Und so verwendet er die Abkürzung BPM für die Kombination aus Prozess- und Performance-Management.
Anwendungsrad und Technologierad
Das Thema wird aus zwei Perspektiven beleuchtet: Der organisatorisch-anwendungsbezogenen und der technologischen Sicht. Beide Sichten werden jeweils in Form eines Rades dargestellt. Das anwendungsbezogene Rad, das „BPM Application Wheel“ umfasst insgesamt 10 Kriterien, darunter die betrachteten Objekte, die unterstützten Prozess-Arten, der Lebenszyklus, die Kontrollstruktur, die Reichweite und die Kennzahlen.
Für jedes Kriterium werden drei Phasen unterschieden. Diese Phasen drücken aus, wie sich das Thema entwickelt hat. So standen etwa bei den betrachteten Objekten in der ersten Phase vor allem Daten im Vordergrund. In der zweiten Phase verschob sich der Fokus auf die Prozesse, und in der dritten Phase haben Ereignisse und Regeln zunehmende Aufmerksamkeit gewonnen. Bzgl. der Kontrollstruktur wurden zunächst vor allem gut strukturierte Prozesse entwickelt, in den Phasen zwei und drei kamen halbstrukturierte und unstrukturierte Prozesse hinzu. Die Reichweite der prozessbezogenen Initiativen wuchs von einzelnen Projekten über Geschäftsbereiche bis hin zum Gesamtunternehmen in Phase 3.
Scheers Konzepte in drei BPM-Phasen
Auch die von Scheer und seinen Mitarbeitern erarbeiteten Konzepte wurden in diesen Phasen erarbeitet. In Phase 1 entstand das bekannte ARIS-Haus mit seinen verschiedenen Sichten (Organisation, Daten, Funktionen, Steuerung, Leistungen) auf das Unternehmen und seine Prozesse. Phase 2 ist das Prozess-Lebenszyklus-Modelle „House of Business Engineering“ zuzuordnen, das von der Strategie über die Prozessmodellierung bis zur Ausführung und das Performance Management reicht.
Was nicht in dem Papier steht: Auf Grundage des House of Business Engineering liefen bei IDS Scheer lange vor der aktuellen SOA/BPMS-Diskussion Entwicklungen für eine eigene Anwendungsarchitektur auf Basis frei konfigurierbarer, durch ein Workflow-System gesteuerter Software-Komponenten. Dieses Konzept wurde damals nicht bis zur Produktreife entwickelt, doch zeigen die später entstandenen SOA-Konzepte, dass Scheer seiner Zeit weit voraus war. Die aktuellen Konzepte der Phase 3 fasst Scheer unter „Advanced BPM“ zusammen. Sie beinhalten u. a. Ereignissteuerung, Geschäftsregeln und BPM-Dashboards mit Mashup-Technologie.
BPM Checkup auf zwei Rädern
Das „BPM Technology Wheel“, das Technologie-Rad ist genauso wie das Anwendungs-Rad aufgebaut: Insgesamt neun Kritierien, ebenfalls in die drei Phasen unterteilt. Zu den Kriterien gehören u. a. die Modellierung (von isolierter Modellierungssoftware über ERP-Integration bis zu Model-Driven Business Software), die Software Architektur (von der Datenintegration in ERP-Systemen über Business Process Plattformen bis zu SOA und SaaS), die Integration (von einzelnen Funktionen über unternehmensweite Anwendungsverknüpfung bis zur Business-to-Business-Anbindung) und der Kontrollstruktur (von hard verdrahteten Abläufen über Workflow bis hin zu Rules Engines).
In der Veröffentlichung werden alle Kriterien der beiden Räder im Einzelnen erläutert. Die Räder dienen auch als Basis für einen „BPM Checkup“. Hierbei kann ein Unternehmen jene Felder einfärben, deren Inhalte es bereits in der Praxis nutzt. Es lässt sich dann auf einen Blick erkennen, in welchen Bereichen u. U. Handlungsbedarf besteht. Auch wenn diese grobe Einteilung nur ein erster Schritt sein kann, und über die Einordnung und den genauen Zusammenhang der beschriebenen Konzepte im Detail sicher viel diskutiert werden kann, so geben die beiden Räder doch einen ziemlich umfassenden Blick auf alle wichtigen Prozessmanagement-Aspekte im Zusammenhang mit der prozessorientierten IT-Unterstützung. Rein organisatorische und strategische Fragestellungen, wie z. B. die prozessorientierte Strukturierung der Aufbauorganisation, wurden hingegen nicht in die beiden Räder mit aufgenommen.
Vielen Dank für den Hinweis auf das Paper! Wie du bereits erwähnt hast, finde ich es sehr schade das rein organisatorische Fragestellungen keine Berücksichtigung finden. Schließlich fängt hier die ganze Sache an, bevor es an die IT-Unterstützung geht…