Bereits seit einiger Zeit haben wir eine Hochschulversion des ARIS Process Performance Managers (PPM) von IDS Scheer im Hause. Bisher habe ich die Software nur sporadisch genutzt, um im Rahmen einer Vorlesung einen kurzen Blick auf das Thema Process Controlling zu werfen. Doch erst, wenn man sich ausführlicher mit diesem umfangreichen System beschäftigt, bekommt man einen Einblick in das gesamte Potenzial, das PPM für ein Unternehmen bietet.
Denn zum einen handelt es sich um ein ausgewachsenes Business Intelligence (BI)-System, mit dem sich die verschiedensten Kennzahlen berechnen, aggregieren und analysieren lassen. Das Ganze mit einer schicken Oberfläche, die sich recht intuitiv bedienen lässt. Der Schwerpunkt liegt aber auf Process Intelligence, d. h. die Analyse von Prozesskennzahlen. Im Gegensatz zu typischen BI-Inhalten wie Verkaufszahlen und finanziellen Kennzahlen, die hauptsächlich etwas über in der Vergangenheit erzielte Ergebnisse aussagen, geben Prozesskennzahlen wie Durchlaufzeiten, Abbruchquoten, usw. Auskunft über die aktuelle Leistung des Unternehmens, die wesentlich für den künftigen Erfolg sind.
Warum aber benutzt man nicht einfach ein herkömmliches Business Intelligence-System und füllt es einfach mit prozessbezogenen Kennzahlen? Die Besonderheiten eines Process Performance Management-Systems liegen vor allem in zwei Bereichen:
- Spezielle prozessbezogene Analyse-Funktionalitäten. So kann ARIS PPM etwa die analysierten Prozess-Instanzen in Form von grafischen Prozessmodellen darstellen. Diese Modelle stellen im Gegensatz zu Prozessdarstellungen in Modellierungstools die Prozesse nicht so dar, wie sie sein sollen, sondern wie sie tatsächlich abgelaufen sind. Durch Aggregation dieser Modelle kann man sich anzeigen lassen, welche Pfade besonders häufig durchlaufen worden sind. So lässt sich beispielsweise herausfinden, welche Wege die Aufträge mit besonders langen Durchlaufzeiten im Gegensatz zu denen mit besonders kurzen Durchlaufzeiten passiert haben. Ebenso kann man etwa darstellen, zwischen welchen Organisationseinheiten im Laufe eines Prozesses besonders viel kommuniziert wurde.
- Extraktion und Kombination der Prozessdaten. Im Gegensatz zu Verkaufszahlen liegen prozessbezogene Informationen meist nicht fertig in einer Datenbank vor. Prozesse laufen häufig über mehrere Systeme hinweg. Oft muss auch erst rekonstruiert werden, welche Daten der verschiedenen Systeme sich auf eine gemeinsame Prozessinstanz beziehen. In vielen Fällen kann man die Daten des vom Prozess bearbeiteten Objektes auswerten. So kann etwa der Zeitpunkt, an dem ein Auftrag angelegt wurde, den Beginn des Auftragsbearbeitungsprozesses markieren. In anderen Fällen liefern Protokolldateien nützliche Informationen für die Prozessanalyse. Das PPM-System enthält daher verschiedene Extraktoren für unterschiedliche Quellsysteme, und es bietet Möglichkeiten, die extrahierten Prozessinformationen aus unterschiedlichen Systemen zu einem Gesamtprozess zusammenzusetzen.
Die Tatsache, dass die meisten Prozesse über verschiedene Systeme hinweg laufen, ist auch der Grund dafür, dass die Monitoring- und Analyse-Komponenten von Business Process Management-Systemen (BPMS) nicht für ein unternehmensweites Prozesscontrolling geeignet sind. Denn sie können nur die Prozesse auswerten, die von der betreffenden Process Engine ausgeführt wurden. Und das sind in der Praxis meist nur wenige Einzelprozesse.
Zwangsläufig erfordert ein solches System zunächst die Installation eines Servers, die Integration mit verschiedenen Drittsystemen, den Aufbau einer Prozess- und Kennzahlenstruktur usw. Dieser Aufwand macht es schwierig, derartige Systeme in der Lehre einzusetzen. Daher kommt die Hochschulversion als komplett fertig installierte virtuelle Maschine. Außer einem Player für die virtuelle Maschine muss nichts installiert werden. Man kann also sofort loslegen. Enthalten sind außerdem einige mit Testdaten gefüllte Demo- und Übungsszenarien sowie eine umfangreiche Dokumentation.
Der Einstieg gelingt recht schnell mit Hilfe einer Kurzanleitung, die die wesentlichen Features zur Prozessanalyse vorstellt. Für die Lehre sind außerdem zwei Dokumente mit Übungen vorhanden. Eines zur Prozessanalyse und zum Aufbau von Management-Dashboards, das andere für das Customizing und die Datenextraktion. Auch hierfür liegen unterschiedliche, zu integrierende Testdaten in Form einer CSV-Datei und als Datenbank-Inhalte vor, so dass auch die Extraktion von Prozessinformationen aus Drittsystemen nachvollzogen werden kann.
Das Hochschulpaket ist empfehlenswert für Lehrveranstaltungen, die das Thema Prozessmanagement umfassend vermitteln wollen. Der Software-Einsatz in diesem Gebiet beschränkt sich nicht nur auf Modellierungswerkzeuge und Workflow-System/BPMS. Informationen für Hochschulen zu PPM und anderen ARIS-Produkten gibt es auf ARIS Campus.
Vielen Dank für die kompakte und verständliche Darstellung, so kann man das ARIS PPM prima gegen BI und BPMS abgrenzen.
Ich glaube auch dass die größte Praxishürde die Umsetzung der Extraktion ist, gerade wenn die Prozesse sehr verteilt in den Systemen laufen. Das ist sehr aufwendig, fehlerträchtig und vor allem dann problematisch, wenn sich die Prozesse ändern, im worst case über neue/andere Systeme laufen. ARIS PPM lohnt sich also wahrscheinlich nur oder vor allem dann, wenn man relativ komplexe (viele Systeme sind involviert) Prozesse hat, an die Kennzahlen in den Systemen überhaupt herankommt, und die Prozesse sich am Besten gar nicht ändern.
Mich würde noch interessieren wie groß der „Echtzeit“-Faktor ist: Klassische DWH oder BI extrahieren die Kennzahlen ja periodisch, z.B. einmal täglich, am Besten nachts. Wie läuft das im PPM? Werden die Kennzahlen jedes Mal extrahiert und aufbereitet, wenn ich das Diagramm öffne? Oder gibt es auch hier bestimmte Zyklen? Ist vermutlich selbst ein Performance Thema?
Generell würde ich sagen, ist die Kennzahlenmessung über ein BPMS besser, weil direkter. Hier sind die KPI quasi ein Abfallprodukt der Automatisierung. Das Problem ist natürlich wie Sie schreiben, dass BPMS bislang oft nur für Einzelprozesse oder, noch schlimmer, nicht für eine End-To-End-Steuerung eingesetzt werden, womit sich der Betrachtungshorizont automatisch zu sehr einschränkt. Hier sehe ich zwei Ansätze: Entweder das BPMS ausdehnen und wirklich zum Zentral-Dirigenten aufschwingen (geht in Hand in Hand mit dem Aufbau einer SOA), oder auch das BPMS als Zulieferer für Lösungen wie das ARIS PPM verwenden. Also ein hybride Lösung. Letztere könnte eine pragmatische, in vielen Fällen auch realistische, oder zumindest eine Übergangslösung sein.
Viele Grüße
Jakob Freund
Ja, das PPM-System eignet sich in der Tat eher für größere Szenarien. Bzgl. Kennzahlenextraktion gibt es natürlich den periodischen Upload, aber es gibt wohl auch Möglichkeiten, Daten in Real Time abzugreifen, auch mit aktiven Alarmen, wenn etwa kritische Grenzen überschritten werden.
Ich könnte mir vorstellen, dass mittelfristig auch BPMS-Funktionalitäten stärker in Form unterschiedlicher Services angeboten werden. Dann könnte es z. B. Process Execution Services und Process Analysis Services geben, wobei die Process Analysis Services Daten von den Process Execution Services in einem standardisierten Format bekommen.
Dann ist man auch flexibel, wenn z. B. verschiedene Process Execution Engines in einem Unternehmen eingesetzt werden. Ansonsten bräuchte man das eine unternehmensweite BPMS, das einfach alles steuert. Und das ist angesichts ständiger Veränderung zumindest in großen Unternehmen eher unrealistisch.
Ja, das one-and-only BPMS halte ich auch für unrealistisch. Umso wichtiger, das Thema Choreographie bei verteilten Prozessen sauber umzusetzen, aber das ist eine andere Baustelle…