Der Prozessbegriff in dem Buch Prozesstheorie: Analyse, Organisation und System (Anzeige) ist wesentlich umfassender als die in der Organisationslehre und Wirtschaftsinformatik gebräuchliche Auffassung von Geschäftsprozessen. Neben den durchgeführten Schritten und Regeln gibt es noch viele weitere Aspekte im Zusammenhang mit Prozessen, wie z. B. das kulturelle Umfeld, die Kommunikation und Wahrnehmung der Beteiligten und das soziale Umfeld. Vor diesem Hintergrund kritisiert der Autor die gängigen Beschreibungen von Geschäftsprozessen als unzureichend und die Vorgabe genau definierter und durch Informationssysteme ausgeführter Abläufe als nicht unbedingt erfolgversprechend für die zukünftige Gestaltung von Organisationen.
Miebach untersucht zunächst soziologische Prozesstheorien sowie quantitative und qualitative Methoden der Prozessanalyse. Es folgt eine Betrachtung von Theorien zu Prozessen in Organisationen. Hierbei werden Entscheidungsprozesse, Kommunikations-, Informations- und Organisationsprozesse ebenso betrachtet wie organisatorische Veränderungsprozesse (z. B. organisationales Lernen) und Innovationsprozesse.Auf dieser Grundlage entwickelt Miebach ein systemtheoretisches Prozessmodell. Prozesse finden statt in sozialen Systemen, die eingebettet sind in Strukturen gesellschaftlicher Funktionssystem. Die sozialen Systeme bestehen aus Strukturen, die durch die Systemvergangenheit, Systemregeln, kulturellen Code und Planung der Systemzukunft bestimmt sind. Diese bilden ein „Systemgedächtnis“, das bei der Durchführung von Prozessen genutzt wird. Es wirken verschiedene Prozessmechanismen, wie z. B. Selbstorganisation und Prozessvariation durch Konflikte oder Zufall. Die Prozesse werden zudem durch die beteiligten Personen beeinflusst.
Aus Sicht des Geschäftsprozessmanagements sind insbesondere die resultierenden, oben genannten Kritikpunkte an den heutigen Konzepten interessant. Diese Kritik wird auf rein theoretischer Basis entwickelt. Es wäre nun einerseits interessant, sie in der Praxis zu überprüfen, andererseits konkrete Vorschläge für die Weiterentwicklung und Verbesserung von Prozessmanagementansätzen zu entwickeln. Die Diskussion hierüber könnte sehr interessant sein. Leider ist das Buch, das als soziologische Habilitationsschrift eingereicht wurde, trotz eines guten Schreibstils ohne tiefergehende sozialwissenschaftliche Ausbildung kaum verständlich. Vielleicht findet der Autor, der auch als Organisationsberater tätig ist, eine Möglichkeit, die praktische Anwendung seines Konzepts in weiteren Veröffentlichungen darzustellen.
Miebach, B.:
Prozesstheorie: Analyse, Organisation und System
VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Wiesbaden 2009.
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