Zwei interessante Studien zum Thema Prozessmodellierung hat eine Forschungsgruppe aus Queensland durchgeführt. Zum einen wurde gefragt, welches die wichtigsten heutigen Probleme und künftigen Herausforderungen der Prozessmodellierung sind, zum anderen wollten die Forscher wissen, welchen Nutzen die Modellierung nach Ansicht von Anwendern und Experten bringt. Diese Fragen wurden mit Hilfe von Delphi-Studien untersucht. Hierbei werden Experten zu einem Themengebiet in mehreren Runden befragt, wobei die späteren Runden dazu dienen, die anfänglichen Aussagen aufgrund der vorliegenden Ergebnisse aller Experten neu einzuschätzen und zu bewerten, um so zu einem konsolidierten Gesamtbild zu gelangen.
Als die drei wichtigsten gegenwärtige Fragestellungen im Zusammenhang mit der Prozessmodellierung wurden die Standardisierung, der Wert der Prozessmodellierung und die modellbasierte, automatische Prozessausführung genannt. Dies sind nach Meinung der Experten auch in fünf Jahren noch die wichtigsten Herausforderungen. Zu den weiteren Themen, die sowohl heute als auch in Zukunft wichtig sind, gehören u. a. das Modellmanagement, die Zustimmung des Managements, sowie die Kluft zwischen Business und IT und ihre Überwindung.
Mit der bei den Herausforderungen auf dem zweiten Platz gelandeten Frage, welchen Wert die Prozessmodellierung für das Unternehmen hat, beschäftigte sich die zweite Studie. Als wichtigsten Nutzen nannten die Befragten die Rolle der Modellierung für Prozessverbesserungen, es folgen das verbesserte und einheitliche Verständnis der Prozesse, die verbesserte Kommunikation der Prozesse an verschiedene Gruppen im Unternehmen, modellbasierte Prozessausführung durch Proces Engines und die Messung der Prozessleistung. Die genannten Punkte illustrieren ein grundlegendes Dilemma: Zwar werden zahlreiche Nutzenpotenziale gesehen, doch wirken sich diese nur mittelbar in barer Münze aus. Sie lassen sich nur schwer quantifizieren. Es ist daher nicht einfach, einen Business Case für Prozessmodellierungsaktivitäten zu erstellen, und die Gefahr ist groß, dass Unternehmen aus diesem Grunde auf entsprechende Initiativen verzichten. Hinzu kommt, dass sich viele benannte Vorteile eher auf die operative Ebene beziehen und kaum ein Bezug zur Unternehmensstrategie gesehen wird. Von daher wäre es sicherlich sinnvoll, strategische Aspekte stärker in der Prozessmodellierung zu berücksichtigen, etwa indem die Grundlage für die Erhebung strategisch relevanter, prozessbezogener Kennzahlen geschaffen wird.
In beiden Studien wurden nicht nur die Gesamtergebnisse veröffentlicht. Sie wurden vielmehr auch nach drei verschiedenen Expertengruppen unterglieder, und zwar Anwender, Hersteller von Modellierungstools sowie akademische Forscher. Hierbei wurden sehr große Unterschiede deutlich, vor allem zwischen der Forschung und den Praktikern. So spielen bei Praktikern zahlreiche Fragestellungen aus den Bereichen Management, Kultur und Mitarbeitern eine wichtige Rolle. Von den Forschern werden diese Themenfelder praktisch überhaupt nicht genannt. Bei ihnen stehen vor allem methodische und informationstechnische Fragen im Vordergrund, die wiederum für Praktiker und Hersteller wesentlich weniger wichtig sind. Beispielsweise bewerten Forscher die modellbasierte Prozessausführung als wichtigsten Vorteil der Prozessmodellierung. Bei den Praktikern hingegen taucht dieser Punkt überhaupt nicht unter den zehn wichtigsten Vorteilen auf. Und auch bei den wichtigsten Herausforderungen sehen Praktiker die Prozessausführung weder heute noch in fünf Jahren als bedeutendes Thema. Die hohe Platzierung kommt auch hier vor allem durch die extrem hohe Gewichtung zustande, die die Forscher diesem Thema zugestehen. Hersteller sehen zwar derzeit die Vorteile nicht in der automatischen Prozessausführung, betrachten das Thema aber als Herausforderung.
Zum einen könnten die genannten Diskrepanzen darauf zurückzuführen sein, dass die Forschung der Praxis voraus ist, d. h. dass hier Konzepte entwickelt werden, die erst in einiger Zeit Eingang in die Praxis finden werden. Zum anderen deutet dieses Ergebnis aber auch darauf hin, dass sich die Forschung um manche Themen zu wenig kümmert, für die in der Praxis ein hoher Bedarf besteht. Das könnte damit zusammenhängen, dass sich ein Großteil der Forschung über Prozessmodellierung in Informatik- und Wirtschaftsinformatik-Instituten abspielt. Andere Fachgebiete, wie die Managementforschung oder Organisationspsychologie beschäftigen sich bisher höchstens am Rande mit diesem Thema. Hier herrscht deutlicher Nachholbedarf. Gerade die angewandte Forschung sollte darauf achten, den Bezug zur Praxis nicht verlieren.
Indulska, Marta and Recker, Jan C. and Rosemann, Michael and Green, Peter (2009) Business process modeling : current issues and future challenges. In: The 21st International Conference on Advanced Information Systems, 8-12 June 2009, Amsterdam, The Netherlands.
Indulska, Marta and Green, Peter and Recker, Jan C. and Rosemann, Michael (2009) Business process modeling : perceived benefits. In: 28th International Conference on Conceptual Modeling, 9-12 November 2009, Gramado, Brazil. (Unpublished)