Professor Ayelt Komus, der das BPM-Labor der Fachhochschule Koblenz leitet, hat eine Reihe von Unternehmen in Einzelinterviews zu ihren Erfahrungen mit dem Geschäftsprozessmanagement befragt. Die meisten der insgesamt 17 Unternehmen wurden auf Empfehlung von BPM-Tool-Herstellern ausgewählt. Es handelt sich also um eine Positivauswahl von Unternehmen, die aktiv Prozessmanagement betreiben und von Toolherstellern als erfolgreiche Referenzkunden genannt werden.
Bei den befragten Firmen handelt es sich vorwiegend um etablierte Konzerne und Großunternehmen, zum größeren Teil aus dem Dienstleistungsbereich (Banken, Versicherungen, Handel), aber auch aus der produzierenden Industrie. Sie klassifizieren sich selbst überwiegend als überdurchschnittlich erfolgreiche Unternehmen. Eine Mehrheit betreibt bereits seit über 10 Jahren gezieltes Prozessmanagement.
Viele Bereiche des Prozessmanagements sind bereits recht gut abgedeckt. So verfügen fast alle Befragen über eine Prozesslandkarte des Unternehmens, alle betreiben eine toolgestützte fachliche Modellierung. Zumeist werden diese Modelle auch laufend gepflegt. In der Regel existiert eine dedizierte Organisationseinheit für das Thema BPM. Mehr als 70% haben Veränderungen der Aufbauorganisation vorgenommen, wie z. B. die Bildung neuer Abteilungen oder Umbildung bzw. Wegfall existierender Abteilungen. Bei 88% gibt es abteilungsübergreifende Teams, 82% haben Prozessverantwortliche benannt.
Daneben gibt es aber auch Bereiche, die weniger gut ausgeprägt sind. So führen nur 18% eine explizite Abstimmung des Prozessmanagements mit der Unternehmensstrategie durch. Nur gut die Hälfte arbeitet im Prozessmanagement systematisch mit Zielen, Kennzahlen und deren Messung. Etwas weniger als die Hälfte hat die Prozessmodelle in die tägliche Arbeit integriert. Und: Die Mitarbeiter vor Ort modellieren ihre Prozesse nicht. Die Modellierung liegt ausschließlich in der Hand von Spezialisten. Nur 35% haben für einzelne Prozesse klar definiert, inwieweit eine Standardisierung oder ein individuelles Management angestrebt wird.
Die Prozessverantwortlichen haben lediglich in 12% der Unternehmen disziplinarische Weisungsbefugnis, bei 41% haben diese weniger als ein Drittel ihrer Arbeitszeit für ihre Rolle als Prozessverantwortlicher zur Verfügung. Auch die Durchgängigkeit von der fachlichen Ebene zur IT-Entwicklung ist nicht überall gegeben. So haben nur 41% fachliche und technische Modelle verknüpft, und bei 35% sind die operativen Systeme eng mit Modellen verknüpft, z. B. indem ein Aufruf von Modellen aus Transaktionen heraus stattfindet. Bei immerhin 47% werden Anwendungen immer auf Basis der Prozessmodelle entwickelt.
Das Fazit der Befragten zum Thema Prozessmanagement ist durchweg positiv. 90% attestieren, dass BPM sinnvoll und erfolgreich sei. 69% geben an, hiermit das Unternehmensergebnis bzw. die Rendite nachweislich erhöht zu haben. Allerdings wird nur selten der ROI von BPM-Maßnahmen ermittelt. In allen Zieldimensionen, wie z. B. Produktivität, Prozesskosten, Flexibilität, Termintreue und Kundenzufriedenheit, sieht die Mehrheit deutliche Verbesserungen. Die stärksten Verbesserungen wurden im Bereich Qualität genannt.
Bei allen bisher erreichten Erfolgen sind die Befragten durchaus der Meinung, dass noch mehr möglich wäre: Sie schätzen, dass sie bisher erst 40% des Weges zur „BPM-Company“ zurückgelegt haben. Bemerkenswert ist die Einschätzung, dass der Unternehmenserfolg zu 58% auf den Geschäftsprozessen beruht. Dies würde bedeuten, dass andere Faktoren, wie die richtigen Produkte und Strategien, weniger als die Hälfte des Erfolgs ausmachen.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftskrise wird dem Geschäftsprozessmanagement eine zunehmende Bedeutung attestiert. Und beim Blick in die Zukunft sind sich die Umfrageteilnehmer sicher: In 15 Jahren wird das Thema aktueller denn je sein.
Auch wenn es sich bei den Unternehmen wie gesagt um eine Positivauswahl handelt, und manche positive Einschätzung auch dem Enthusiasmus der Befragten für das Thema Prozessmanagement zugeschrieben werden kann, gibt die Befragung doch einen interessanten Einblick in die praktische Umsetzung des BPM. Durch die direkte Befragung ist ein tieferer Einblick möglich als durch rein Fragebogen-basierte Erhebungen. Bisher liegen erst die quantifizierbaren Ergebnisse vor. Interessant dürfte aber insbesondere die Aufbereitung der individuellen, qualitativen Antworten sein, da sich die verfolgten Prozessmanagement-Ansätze doch spürbar unterscheiden dürften.
Die bisher vorliegenden quantitativen Ergebnisse stehen vorläufig nur für die Studienteilnehmer zur Verfügung, im kommenden Jahr ist jedoch eine Buchveröffentlichung geplant, die dann auch die qualitativen Ergebnisse enthalten soll.
Kontakt: www.komus.de
Spannende Erkenntnisse. Wenn sich jetzt auch noch herausstellen sollte, dass die befragten Unternehmen weniger Probleme hatten auf die Wirtschaftskrise zu reagieren, weil sie wussten, wie sie mit ihren Prozessen umgehen müssen bzw. wie sie tatsächlich arbeiten, dürften auch die letzten Zweifler und Prozessbildermaler ins Grübeln kommen.