Bernd Rücker sprach zum Thema „Prozessautomatisierung neu verstehen„. Zunächst erläuterte er den Stand und die Probleme der SOA-Welt. Aus konkreten Anwendungen resultierten oftmals Anforderungen, die dazu führen, dass das saubere SOA-Schichtenkonzept verletzt werden muss. In der Praxis muss man sich häufig eine gewisse Flexibilität bewahren. Ein aktuelles Thema ist die geeignete Verzahnung von „Genie und Struktur“. Das aktuelle Stichwort zur Unterstützung wissensbasierter Prozesse heißt „Adaptive Case Management“. Das Thema wird momentan leider etwas polemisch diskutiert. Reine ACM-Produkte lösen die Problematik nicht unbedingt vollständig. Die Herausforderung besteht in der geeigneten Verknüpfung zwischen standardisierten und unstrukturierten Prozessanteilen. Letztlich geht es um die Verknüpfung von Aufgaben, Grenzen und Regeln. Rücker vermisst in der Praxis die Adaptivität im Adaptive Case Management. Hier kann man selbstlernende Systeme einsetzen, die die Regeln anpassen und verbessern.
Ein paar Beispiele für Dinge, die falsch laufen: Prozesstapeten, die magische Prozessmaschine, SOA als Lego und Produkte, die alles können. Der camunda-Ansatz baut auf Standard-Java-Komponenten und Frameworks auf. Standalone Process Server sind auf dem Rückzug. Eingebettete Process Server unter Nutzung von Standards bieten insgesamt wesentlich mehr Möglichkeiten und Flexibilität. Dabei sollte man sich bei der Toolauswahl auf jeden Fall auch mit Open Source beschäftigen. Auch große Hersteller kommen heute kaum ohne Open Source aus.
Auf dem Markt gibt es eine Polarisierung zwischen „One Stop Shops“, die ein Komplettangebot bieten, und „Best of Breed“-Anbietern, die auf Flexibilität und Offenheit setzen. Kurz vor der Mittagspause verglich er die One Stop Shops mit Anbietern von Fertiggerichten, die Best of Breed-Anbieter hingegen bieten Komponenten für das eigene Kochen. Im Idealfall schmeckt das besser – allerdings muss man ein Kochbuch lesen können.
Nachmittags gab es zunächst zwei parallele Anwendervorträge. Im fachlichen Teil berichteten Franz Winzig und Christian Lorenz über den BPMN-Einsatz und die Prozessautomatisierung bei der österreichischen Wüstenrot Datenservice GmbH. Die Firma setzt einen ESB ein, um die verschiedenen Backend-Systeme in die End User-Anwendungen zu integrieren. Bislang wurden verschiedene Notationen für Business und IT verwendet, was zu Kommunikationsproblemen führte. Für komplexe Prozesse wie die Abwicklung von KFZ-Versicherungsabschlüssen sollte durch ein System geführt werden. Z. B. sollte es auch möglich sein, langlaufende Prozesse anzuhalten und neu zu starten. Nicht zuletzt sollten auch die Prozesse des Prozessmanagements automatisiert werden.
Als Ergebnis eines Praxisworkshops wurden Activiti und camunda Fox ausgewählt. Da bereits eine Reihe von Technologien und Systemen im Einsatz waren, mussten diese im Rahmen des Projekts eingebunden werden. Insbesondere bei Großrechner-basierten Altsystemen war dies recht aufwändig – nicht zuletzt die Integration der zeichenorientierten Oberfläche der Altsysteme mit der web-basierten Oberfläche der Neuentwicklung. Die Modellierung folgte dem camunda-Ebenenmodell, das sich in dem Projekt bewährt hat. Fachliche Prozesse, die in Adonis modelliert sind, werden im BPMN 2.0 XML-Format nach Activiti überführt.
Als Pilotprojekt für die Automatisierung wurde der Prozess der Profitcenterberechnung ausgewählt. Hier hat sich die BPMN als gemeinsame Sprache für Business und IT bewährt, die die Überführung von den fachlichen Anforderungen in ausführbare Modelle gut unterstützt. Eine wichtige Voraussetzung waren gemeinsame Modellierungsrichtlinien. Die Diskussionen zwischen Fachbereich und IT wurden kürzer und einfacher. Notwendige Änderungen werden nicht mehr einfach nur von der Fachseite vorgegeben, sondern gemeinsam diskutiert. Oftmals hat die IT-Seite wichtige und sinnvolle Vorschläge und Beiträge, die auf diese Weise von Anfang an berücksichtigt werden.