Nach ihren Veröffentlichungen zum Enterprise Architecture Management und zum strategischen Prozessmanagement beschäftigt sich Inge Hanschke in ihrem neuesten Buch, das sie zusammen mit Gunnar Giesinger und Daniel Götze geschrieben hat, mit der Business Analyse. Der Begriff „Business Analyse“ wird in der Praxis sehr uneinheitlich verwendet. In diesem Buch geht es vor allem um die übergreifende fachliche Analyse und Gestaltung im Vorfeld von Projekten. Die Ermittlung und das Management von Anforderungen innerhalb der einzelnen Projekte wird daher nur am Rande besprochen – auch wenn es hier natürlich eine Reihe von Überschneidungen gibt. Wenn nämlich ein solches projektübergreifendes Anforderungsmanagement existiert, dann können dessen Ergebnisse in den Projekten direkt genutzt werden, und es müssen nicht alle Prozesse und Anforderungen komplett neu erhoben werden. Das spart nicht nur Arbeit in den Projekten, sondern sorgt auch dafür, dass die Projekte inhaltlich besser aufeinander abgestimmt sind.
Die Autoren plädieren deswegen dafür, im Unternehmen eine eigene Organisationseinheit für das „Demand Management“ zu etablieren, die zwischen Fach- und IT-Abteilungen dolmetschen kann. Zu ihren Aufgaben gehören neben der Business-IT-Koordination die Unterstützung bei der Budgetierung, die Ableitung von strategischen Geschäftsanforderungen, die Identifikation und Analyse von fachlichen Anforderungen und die fachliche Steuerung der Umsetzung. Damit weist sie natürlich viele Anknüpfungspunkte und Überschneidungen mit anderen Bereichen auf, wie z. B. der strategischen Planung, der IT-Strategieplanung, dem Prozessmanagement, dem Enterprise Architecture Management und dem Projektportofolio-Management. Das Demand Management muss hier sinnvoll eingebettet werden. Im Buch wird erläutert, wie man eine angemessene Organisation und schlanke Demand Management-Prozesse aufbaut.
Andererseits kann man in der Praxis nicht davon ausgehen, dass bereits überall alle genannten Aufgaben umfassend abgedeckt sind. Liegen beispielsweise noch keine Modelle aus dem Prozessmanagement oder dem Enterprise Architecture Management vor, so müssen die Business Analysten die Prozessmodelle, Bebauungspläne u. ä. eben selbst erstellen.
Die Aufgaben und das Vorgehen der Business Analyse werden am Fallbeispiel eines Anbieters von Steuerungen und Automatisierungsgeräte für Privathäuser illustriert. Es wird aufgezeigt, wie die Analyse beim Aufbau eines neuen Kooperations- und Vertriebsmodells durchgeführt wird. Zunächst werden Ziele, Stakeholder und Investitionsthemen identifiziert, bevor die Prozesse aufgenommen, modelliert und detailliert werden. Für die Modellierung kommen Prozesslandkarten, Swimlane-Diagramme (mit einer vereinfachten BPMN-Darstellung) und BPMN-Kollaborationsdiagramme zum Einsatz.
Um die Anforderungen an die benötigte IT-Unterstützung zu dokumentieren, werden im nächsten Schritt Use Case-Diagramme entworfen, fachliche Komponenten abgegrenzt und ein fachliches Klassenmodell entwickelt. Schließlich werden die Anforderungen als Features und Teil-Features in Listenform zusammengefasst, priorisiert und gebündelt. Auf dieser Grundlage werden Projektvorschläge entwickelt und bewertet, die dann in konkrete Projektanträge münden. Während der Projektdurchführung gehört es zu den Aufgaben der Business Analysten, fachliche Fragen zu klären, Änderungsanforderungen zu steuern, den Projektfortschritt zu überwachen und Ergebnisse zu prüfen. Die erstellten Modelle des Fallbeispiels können in Browser-navigierbarer Form von der Website des Verlags heruntergeladen werden.
Für ihre praktische Arbeit erhalten Business Analysten ausführliche Anleitungen und Best Practice-Hinweise zu allen Aufgabenbereichen. Hierbei werden auch verschiedene Vorgehensweisen berücksichtigt, wie z. B. agile Projekte. Auch die verwendeten Modelltypen, Listen und grafischen Auswertungen sind beschrieben.
Ein eigenes Kapitel widmet sich der Identifikation von Business Services im Rahmen einer Service-orientierten Architektur. Services werden häufig Projekt-getrieben entwickelt. Die Ergebnisse dieser Botttom Up-Vorgehensweise sollten mit einer Top Down-Betrachtung abgestimmt werden, um die Wiederverwendbarkeit und ein abgestimmtes unternehmensweites Service-Portfolio sicherzustellen. Hier kann die Business Analyse einen wichtigen Beitrag leisten.
Das Buch dürfte für jeden nützlich sein, der sich mit fachlichen Anforderungen beschäftigt – auch wenn es vielleicht „nur“ im Rahmen von Einzelprojekten der Fall ist. Eine Herausforderung dürfte das angesprochene Zusammenspiel der verschiedenen Aufgabenbereiche Business Analyse, Prozessmanagement, Enterprise Architecture Management usw. in jedem Fall darstellen. Auch wenn dieses Buch und die anderen Bücher von Inge Hanschke nützliche Hinweise liefern, wird es in der Praxis schwierig sein, die verschiedenen Modelle und Dokumentationen konsequent methodisch und organisatorisch durchgängig zu verknüpfen, zumal die Gefahr einer zu starken Bürokratisierung nicht von der Hand zu weisen ist.
Auch die geeignete Tool-Unterstützung zu finden ist nicht leicht. Im Best Practice-Teil des Buches werden Hinweise zur Tool-Auswahl gegeben, doch dürfte es schwierig werden, ein Tool ausfindig zu machen, das die beschriebene Methodik komplett unterstützt. Eine heterogene Tool-Landschaft oder das Ausweichen auf einfache Spreadsheets erschweren die durchgängige Planung zusätzlich.
Inge Hanschke, Gunnar Giesinger, Daniel Goetze:
Business Analyse einfach und effektiv.
Geschäftsanforderungen verstehen und in IT-Lösungen umsetzen.
Hanser 2013.
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1 Gedanke zu „Praxisbuch für Business-Analysten“
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