Bekanntermaßen leben wir in einer Dienstleistungsgesellschaft. Im Gegensatz zu produzierenden Unternehmen, bei denen wir als Kunden vor allem mit dem Produkt als Ergebnis der Prozesse zu tun haben, erleben wir einen Großteil der Dienstleistungsprozesse direkt mit. Die Bedeutung der Geschäftsprozesse ist daher vielleicht noch größer als in Produktionsunternehmen. Trotzdem gibt es vergleichsweise wenig Literatur, die sich speziell mit der Prozessgestaltung in der Dienstleistungsbranche befasst. Das Buch „Prozessorganisation in Dienstleistungsunternehmen“ (Anzeige) von Sabine Fließ ist einer dieser wenigen Titel.
Wesentliches Merkmal eines Dienstleistungsprozesses ist die Mitwirkung des Kunden, in dem dieser Objekte oder Informationen zur Verfügung stellt (z. B. sein zu reparierendes Auto) oder selbst Aufgaben im Rahmen des Prozesses erfüllt. Je nach dem, wie stark die Integration des Kunden ist, lassen sich verschiedene Typen von Dienstleistungsprozessen mit verschiedenen Anforderungen an die Prozessgestaltung unterscheiden:
- Standardisierte Dienstleistungen, z. B. Fast Food Restaurants oder Gebäudereinigung
- Individualisierte Standard-Dienstleistungen, z. B. Haarschnitt oder Gütertransport
- Individuelle Dienstleistungen, z. B. Hochzeitsservice oder Unternehmensberatung
Auf strategischer Ebene nennt die Autorin drei prinzipielle Möglichkeiten, die Wertschöpfung zu gestalten:
- Die klassische Wertkette, die sich eher für standardisierte Dienstleistungen eignet
- Der Wertshop, der sich am Problemlösungsprozess orientiert und damit vor allem für individuelle Dienstleistungen geeignet ist
- Das Wertnetzwerk, in dem der Anbieter Verbindungen zwischen verschiedenen Nachfragern herstellt, wie z. B. ein Telekommunikationsunternehmen
Auch Dienstleistungen werden in mehrstufigen Wertschöpfungsketten erstellt, so dass die Frage nach der richtigen Fertigungstiefe beantwortet werden muss.
Zur Strukturierung und Untersuchung von Dienstleistungsprozessen wird der „ServiceBlueprint“ vorgestellt. Hierin werden die verschiedenen Aktivitäten eines Prozesses nach ihrem Kundenbezug angeordnet:
- Ganz oben die vom Kunden selbst durchgeführten Aktivitäten, z. B. Essen bestellen in einem Restaurant
- Darunter, unter der „Kundeninteraktionslinie“ finden sich zunächst die für den Kunden direkt sichtbaren Aktivitäten, z. B. Servieren
- Unter der „Sichtbarkeitslinie“ sind die direkt für den Kunden ausgeführten, für diesen aber nicht sichtbaren Aktivitäten angeordnet, z. B. Kochen
- Es folgt die „interne Interaktionslinie„. Darunter werden Aktivitäten dargestellt, die zwar vom Kunden mit ausgelöst werden, ihm aber in diesem Prozess keinen unmittelbaren Nutzen bringen, z. B. Spülen des von einem Restaurantbesucher benutzten Geschirrs
- Unter der „Vorplanungslinie“ folgen vorbereitende Aktivitäten, wie z. B. Einkaufen der Zutaten
- Schließlich ganz unten, unter der „Implementierungslinie“ die Bereitstellung von Einrichtungen etc.
Bei der Gestaltung der Dienstleistungsprozesse muss ein geeignetes Zusammenspiel zwischen Anbieter und Kunden entwickelt werden. Hierbei geht es nicht nur um Kosten, Zeiten u. ä., sondern insbesondere auch darum, wie der Kunde den Prozess erlebt. Dies beeinflusst seine Bewertung der Dienstleistung erheblich. Hierbei spielen psychologische Aspekte eine Rolle, z. B. wie die räumliche Gestaltung des sichtbaren Bereichs empfunden wird.
Als Grundformen der Organisation auf Anbieterseite werden die Production Line („Fabrikproduktion“) für standardisierte Dienstleistungen und der eher für individualisierte Dienstleistungen geeignete Job Shop („Werkstatt“) genannt. Eine besondere Herausforderung ist die Koordination der Erwartungen und des Verhaltens von Kunden und Anbieter im Dienstleistungsprozess.
Die Aspekte Qualität, Zeit und Kosten werden in je einem eigenen Kapitel behandelt. Dabei werden zum großen Teil bekannte Methoden vorgestellt und hinsichtlich ihrer spezifischen Anwendung für den Dienstleistungsbereich konkretisiert. So werden etwa Herausforderungen und Ansätze für die Bestimmung und Messung von Qualitätsmerkmalen einer Dienstleistung ebenso besprochen wie eine dienstleistungsbezogene Modifikation der Prozesskostenrechnung.
„Prozessorganisation in Dienstleistungsunternehmen“ (Anzeige) ist ein wissenschaftliches Buch. So wird an vielen Stellen auf wirtschaftswissenschaftliche Theorien Bezug genommen. Dennoch ist es vergleichsweise gut lesbar, es werden viele Beispiele genannt, die den Bezug zur Praxis deutlich machen. Einfache, schnell umsetzbare Rezepte wird man vergeblich suchen. Wer das Thema Dienstleistungsprozesse jenseits von kurzfristigen Berater-Moden tiefer durchdringen möchte, sollte sich das Buch ansehen.
Sabine Fließ:
Prozessorganisation in Dienstleistungsunternehmen.
Kohlhammer 2006.
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