In der Vergangenheit haben sich viele BPMS-Anbieter mit Zero-Coding-Versprechen weit aus dem Fenster gelehnt. Außer bei sehr kleinen Demonstrationsprozessen konnten Sie diese aber häufig nicht einhalten. Daher wird es heute meist als unrealistisch angesehen, ernsthafte Prozessanwendungen zu realisieren ohne zumindest an der einen oder anderen Stelle Programmcode schreiben zu müssen. Und so vermarkten einige BPMS-Hersteller ihre Produkte mittlerweile nicht mehr als „Zero Code“-, sondern als „Low Code“-Plattformen (vgl. hierzu den Report von Forrester).
Ganz im Gegensatz dazu positioniert die Firma AuraPortal ihre BPM-Suite selbstbewusst als einzige echte „No Code“-Plattform, mit der man auch komplexe Prozesse komplett ohne Codierung automatisieren kann. Eine derartige Ansage weckt zunächst einmal Skepsis. Das, was in AuraPortals einführenden Präsentationen gezeigt wird, ähnelt dem, was auch in anderen BPMS möglich ist: Ein kleiner Prozess wird grafisch modelliert und ein einfacher Dialog mit einigen Feldern angelegt. Sodann wird das Ganze zur Ausführung gebracht, wodurch den Prozessbeteiligten ihre jeweiligen Aufgaben in Task-Listen bereitgestellt werden. Von dort aus können Sie dann jeweils die Bearbeitung starten.
Großer Funktionsumfang „Out of the Box“
Werden die Anforderungen etwas komplexer, so kommt bei den meisten BPMS-Vorführungen früher oder später der Punkt, an dem an der einen oder anderen Stelle ein kleines Skript programmiert oder selbst geschriebener Code eingebunden werden muss. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Ermittlung des nächsten Bearbeiters speziellen Regeln folgt, sich Dialoge aufgrund von Eingabewerten dynamisch verändern, komplexe Datenstrukturen verwendet oder individuelle Analysereports benötigt werden.
Ich hatte die Gelegenheit, mir AuraPortal vorführen zu lassen. Dabei beeindruckte mich einerseits der große Funktionsumfang, der „Out of the Box“ zur Verfügung gestellt wird, zum anderen, wie schnell und einfach sich auch etwas schwierigere Anforderungen umsetzen lassen. So verfügt AuraPortal unter anderem über ein komplett integriertes Dokumentenmanagement-System, über Module zum Web Content-Management und zum Aufbau von Internet-Shops, sowie eine Business Intelligence-Komponente – um nur einige zu nennen. Hierbei kommen keine Komponenten von Drittanbietern zum Einsatz, alles ist komplett selbst entwickelt und sehr nahtlos integriert. Mich interessierte besonders, ob und wie sich die oben geschilderten komplexeren Probleme tatsächlich ohne Programmierung lösen lassen. Und in der Tat wurde mir zu jeder meiner Fragestellungen nachvollziehbar gezeigt, wie sie mit Hilfe von Modellierung und Konfiguration umgesetzt werden kann.
Wie geschieht das? Zum einen steht sehr viel vorgefertigte Funktionalität zur Verfügung, mit der sich bereits ein sehr großer Teil typischer Anforderungen abdecken lässt. So gibt es etwa schon eine größere Zahl von möglichen Zuordnungsstrategien von Aufgaben zu Bearbeitern. Zum anderen sind umfangreiche Konfigurationsmöglichkeiten vorhanden. So bietet etwa der Formular-Editor zahlreiche Einstellungsmöglichkeiten zu jedem einzelnen Dialog-Element. Der Editor-Bereich mit den Einstellungsmöglichkeiten wird hierdurch recht umfangreich. Meist kann man aber mit den Standardeinstellungen einfache Fälle bereits ganz gut abdecken. Um sehr ausgefeilte, dynamische Dialoge zu entwickeln, ist hingegen eine gute Kenntnis der verschiedenen Möglichkeiten erforderlich. Umfassende Berechnungen oder Eingabevalidierungen erfordern natürlich schon die Eingabe der entsprechenden mathematischen Formeln oder regulären Ausdrücke. Programmcode ist hingegen nicht erforderlich.
Auch komplexe Regeln ohne Programmcode
Auch dort, wo die angebotenen Standardfunktionen nicht ausreichen, lassen sich z. B. Geschäftsregeln aufstellen und integrieren. Auch dies ist ohne Programmierung möglich. So kann etwa die Zuordnung eines Tasks zu Bearbeitern nicht nur über vordefinierte Mechanismen erfolgen, wie z. B. über Rollen oder die manuelle Auswahl in einem vorangehenden Schritt. Stattdessen kann man auch entsprechende Regeln zuordnen, die während der Prozessausführung ausgewertet werden um den nächsten Bearbeiter zu bestimmen. Die Geschäftsregeln selbst werden tabellarisch erfasst, wobei ggf. beliebig komplexe Formeln verwendet werden können.
Der „No Code“-Anspruch scheint also nicht übertrieben zu sein. Sicherlich kann man sich Funktionalitäten ausdenken, die nicht im Standardfunktionsumfang von AuraPortal vorhanden sind und daher Programmierung erfordern würden. Für Anwendungen zur Automatisierung und Unterstützung von Geschäftsprozessen scheint die Abdeckung aber recht umfassend zu sein. Ich durfte auch einen Blick auf das recht umfangreiche Modell der von der Firma AuraPortal intern zur Projektverwaltung und -steuerung verwendeten Prozesse werfen. Laut eigenen Angaben arbeitet die Firma intern ausschließlich mit dieser – ebenfalls komplett ohne Programmierung entwickelten – Anwendung, d. h. es sind auch sämtliche benötigten Funktionalitäten realisiert, für die sonst ERP- oder CRM-Systeme genutzt werden.
Verstärkte Aktivitäten im deutschsprachigen Raum
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das Wegfallen der Programmierung bedeutet nicht, dass es plötzlich kinderleicht wäre, umfassende Prozessanwendungen zu erstellen. Komplexe Prozesse und Anforderungen erfordern umfangreiche und durchdachte Modelle, Einstellungen, Formeln etc. Hierfür benötigt man eine genaue Kenntnis des Systems und der zugrunde liegenden Konzepte, sowie die ausgeprägte Fähigkeit zu analytischem Denken. Andererseits muss man keine Programmiersprache beherrschen, und es sinkt insbesondere der Aufwand, der sonst oftmals durch das Schreiben von Boilerplate-Code entsteht, der sich immer wieder in ähnlicher Form wiederholt. Überhaupt ist es in AuraPortal kaum nötig dasselbe mehrfach zu tun, da sich praktisch alles, was man einmal erstellt hat, in anderen Prozessen wiederverwenden lässt.
Dass der Ansatz zu funktionieren scheint, zeigt sich anhand zahlreicher erfolgreicher Implementierungen bei Unternehmen aus den verschiedensten Branchen, darunter bekannte Namen wie General Motors, Toyota, Carrefour, Danone, KPN und Santander. Die Firma AuraPortal, die in Spanien ansässig ist, ist weltweit tätig, wobei es besonders viele Installationen in Südamerika gibt. Im deutschsprachigen Raum ist der BPM-Hersteller, den Gartner als „one of the best kept secrets in the iBPMS market“ bezeichnet, bislang noch weniger bekannt. Das soll sich aber künftig ändern. Gemeinsam mit Partnern werden derzeit die Aktivitäten im hiesigen Markt ausgebaut. Auch wenn die Konkurrenz nicht gerade klein ist, dürfte AuraPortal mit seinem beachtlichen Funktionsumfang auch hierzulande auf einiges Interesse stoßen.