Das englischsprachige Buch „Process Analytics“ gibt einen Überblick über verschiedene Aspekte und Methoden der Prozessanalyse aus wissenschaftlicher Sicht. Hierbei stehen Verfahren im Fokus, bei denen prozessbezogene Daten aus IT-Systemen ausgewertet werden. In der Vergangenheit wurden viele Methoden entwickelt, die voraussetzten, dass die zu untersuchenden Prozesse komplett durch ein Workflow- oder BPM-System ausgeführt werden. Ein Großteil der Prozesse werden in der Praxis aber nicht durch eine solche Process Engine gesteuert. Prozessbezogene Daten liegen daher unter Umständen über viele verschiedene Systeme verstreut und in uneinheitlicher Form vor. Zudem sind viele Prozesse nur schwach strukturiert. Ihr konkreter Ablauf ergibt sich erst ad hoc während der Durchführung. Neben den auf den Ablauf bezogenen Daten, wie Start- und Endzeitpunkte der durchgeführten Aktivitäten, können auch zahlreiche andere Daten von Interesse sein, wie z. B. die bearbeiteten Geschäftsobjekte. Bei der Prozessausführung fallen häufig sehr große Datenmengen an, weshalb die im Buch beschriebenen Verfahren vielfach auf Ansätzen aus dem Bereich „Big Data“ aufbauen.
Das Buch ist in sechs Kapitel gegliedert. Das erste Kapitel gibt einen Überblick über das Thema Process Analytics und die wichtigsten Fragestellungen. In Kapitel 2 werden die Grundlagen IT-gestützter Geschäftsprozesse vorgestellt. Gegenstand des dritten Kapitels sind Algorithmen zum „Process Matching“, d. h. zum Vergleich von Prozessmodellen und zum Auffinden ähnlicher Prozessmodelle. Dies kann bei großen Sammlungen von Prozessmodellen interessant sein, z. B. wenn man Prozesse wiederverwenden, Prozessvarianten identifizieren oder die Einhaltung von Compliance-Regeln überprüfen möchte. In Kapitel 4 werden Abfrage-Techniken und -Sprachen für Prozessmodelle und ausgeführte Prozessinstanzen besprochen. Ähnlich wie man mit SQL Datenbank-Abfragen formulieren kann, kann man mit Prozessabfragesprachen Prozessmodelle mit bestimmten Eigenschaften finden oder Informationen über das Prozessgeschehen abfragen.
Mit der Organisation von Prozessdaten und Methoden zu ihrer Analyse befasst sich Kapitel 5. Hierzu gehört der Aufbau von „Process Spaces“. Dabei handelt es sich um die systemübergreifende Zusammenfassung aller auf einen Prozess bezogenen Daten und Informationen und die Bereitstellung verschiedener Sichten darauf. Die Prozessdaten können in Form von Data Services für die weitere Verarbeitung verfügbar gemacht werden. Es werden verschiedene Analyseverfahren vorgestellt, u. a. Process Mining, und prozessübergreifende Querschnittsaspekte diskutiert, wie z. B. Sicherheit und Zuverlässigkeit.
Das sechste Kapitel gibt einen zusammenfassenden Überblick über Analysefunktionen verschiedener BPM-Systeme sowie einen Ausblick auf weitere Forschungsrichtungen. Unter den betrachteten Systemen findet sich sowohl kommerzielle als auch Open Source-Software. Anhand eines Fallbeispiels wird der Einsatz verschiedener Toolfunktionalitäten und Analysemethoden im Zusammenspiel illustriert. Dabei fällt auf, dass sich die in den vorangegangenen Kapitel vorgestellten Methoden kaum in den vorgestellten Werkzeugen wiederfinden. So wird beschrieben, wo diese Verfahren in dem Fallbeispiel eingesetzt werden können, allerdings nicht, mit welchen Werkzeugen dies erfolgen soll. Zum Teil wird auf grundlegende Technologien aus dem Bereich „Big Data“ verwiesen, wo die konkret auf die Prozessanalyse bezogenen Verfahren freilich erst programmiert werden müssten.
Auch ist nicht ganz klar, wie die Auswahl der besprochenen Tools erfolgte. So findet sich in der Liste das stark in der Funktion beschränkte kostenfreie Werkzeug „ARIS Express“, nicht jedoch die kostenpflichtige ARIS-Suite des gleichen Herstellers, die über wesentlich umfangreichere Analysemethoden verfügt. Es verwundert zudem, dass eine Plattform wie „smartfacts“ von MID fehlt, mit der sich systemübergreifende Prozessmodellsammlungen realisieren lassen, wie sie in den vorangehenden Kapiteln beschrieben werden.
Aber auch in den anderen Kapiteln wird die eine oder andere für das Thema relevante aktuelle Entwicklung nicht berücksichtigt. So wird im Zusammenhang mit der Integration von Geschäftsregeln und Prozessmodellen der in der Praxis wenig verbreitete Standard SBVR diskutiert, nicht jedoch DMN (Decision Model and Notation), die bereits an vielen Orten im praktischen Einsatz ist.
Insgesamt stellt das Buch dennoch einen guten Überblick dar, der insbesondere für Wissenschaftler und Toolhersteller interessant sein dürfte.
Behesti, S.; Benatallah, B. et al:
Process Analytics
Concepts and Techniques for Querying and Analzying Process Data
Springer 2016
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