Die Studie des Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) unterscheidet sich in der Vorgehensweise von typischen Studien über Modellierungstools. Anstatt möglichst viele Tools hinsichtlich der angebotenen Features zu bewerten, untersuchten die Autoren ausgewählte Tools anhand eines konkreten Fallbeispiels. Auf diese Weise kann man nicht so viele Werkzeuge bewerten, und es werden auch nicht alle angebotenen Funktionalitäten getestet. Andererseits gewinnt man ein wesentlich besseres Verständnis der dem jeweiligen Tool zugrunde liegenden Methodik und der erforderlichen Vorgehensweise. Viele Probleme treten eben erst auf, wenn man eine Software ganz praktisch einsetzt.
Als Anwendungsbeispiel wurde ein kleiner, vollautomatisch ablaufender Prozess aus einem realen Projekt gewählt. In diesem Prozess werden Produktinformationen aus verschiedenen Systemen abgefragt, kombiniert und anderen Systemen für die Weiterverarbeitung zur Verfügung gestellt. Dieser Prozess wurde mit jedem Werkzeug zunächst in BPMN modelliert und anschließend zur Ausführung gebraucht. Damit dieses Beispiel umgesetzt werden konnte, mussten die Anbieter eine Testversion ihrer Software zur Verfügung stellen und bei auftretenden Problemen Support leisten.
Die Anbieter von sieben Systemen erklärten sich zur Teilnahme bereit: Cordys, Dr. Karb (ActiveVOS), inubit, itp commerce (Process Modeler), MID (Innovator for Business Analysts), Software AG (webMethods) und Soreco (Xpert.ivy). Zusätzlich wurde noch die kostenfreie Version von Intalio untersucht, wofür allerdings kein Support bereit stand. Bei den Systemen von itp commerce und MID handelt es sich um reine Modellierungstools ohne eigene Ausführungsumgebung. Bei diesen wurde der BPEL-Export genutzt, um den Prozess auf einer BPEL-Engine ablaufen zu lassen.
Für die Arbeit mit fachlichen und technischen Modellen gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder es wird nur ein einziges Modell mit fachlicher Sicht und ausführungsrelevanten Details verwendet, oder aber aus einem fachlichen Modell wird ein zweites, technisches Modell abgeleitet. Diese Trennung zwischen fachlichem und technischen Modell findet sich bei den beiden reinen Modellierungstools, bei denen fachliche Modellierung und Ausführung ja auch in unterschiedlichen Systemen erfolgen. Von den Systemen mit eigener Process Engine sieht nur inubit eine Trennung in zwei Modelle vor, ansonsten arbeiten diese Systeme immer mit einem Modell. Unter anderem aufgrund individueller Besonderheiten der jeweiligen Ausführungsengine weisen einige dieser integrierten Systeme eine geringere BPMN-Konformität als die reinen Modellierungstools auf. Oft gibt es Abweichungen oder individuelle Anpassungen des BPMN-Standards. Doch auch bei den Systemen mit einer vollständigeren BPMN-Abdeckung wird immer nur ein – jeweils unterschiedlicher – Teil der BPMN tatsächlich als Grundlage für die Ausführung verwendet. Vier der acht Tools unterstützen bereits die neue Version 2.0 der BPMN.
Hinsichtlich der Modellierungsfunktionalitäten gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Tools. So gibt es etwa unterschiedliche Möglichkeiten des Ein- und Ausblendens von Details und der Verbindung mit anderen Modelltypen. Zwar bieten alle Tools die Möglichkeit, Input- und Outputdaten der Aktivitäten zu definieren, doch können diese nur in manchen Fällen grafisch dargestellt werden. Ansonsten werden diese Daten in Eigenschaftsdialogen festgelegt.
Für die Ausführung des Beispielprozesses musste das Modell mit technischen Informationen angereichert werden. Für die Verbindung mit anderen Systemen (z. B. SAP, Oracle) waren die von diesen Systemen bereitgestellten Web Services einzubinden. Trotz Nutzung des WSDL-Standards traten beim Einlesen der Web Service-Beschreibungen eine Reihe von Problemen auf, die mit Hilfe der jeweiligen Hersteller gelöst werden mussten. Das Beispiel enthielt auch einen asynchronen Aufruf eines anderen Systems. Zwar war dies mit den betrachteten Systemen prinzipiell möglich, stellte bei einigen Tools aber einen Sonderfall dar, der nur sehr umständlich zu realisieren war.
Manchmal ist es wünschenswert, den erstellten Prozess selbst wieder in Form eines Web Service zur Verfügung zu stellen. Dies ist nicht mit allen Tools möglich. Um Bedingungen und Variablenzuweisungen zu definieren, werden ganz unterschiedliche grafische Modellierungen oder Sprachen verwendet, wie XPath, XSLT, XQuery, Java oder Javascript. Bei den reinen Modellierungstools sind derartige Bedingungen und Ausdrücke nach dem Export in der Ausführungsumgebung zu spezifizieren.
Die Autoren konstatieren, dass BPMN mittlerweile weit verbreitet ist. BPMN alleine reicht aber nicht, es müssen auch die Besonderheiten der jeweiligen IT-Landschaft berücksichtigt werden. Verschiedene Tools nutzen die BPMN unterschiedlich, ein Austausch von Modellen ist nicht so ohne Weiteres möglich, da die Modelle meist an das jeweilige System angepasst sein müssen. Hinzu kommt, dass die Standards von den Herstellern oftmals unterschiedlich interpretiert werden. Für besonders hohe Anforderungen an das zu verarbeitende Volumen und die Performance sind außerdem proprietäre Laufzeitumgebungen der Nutzung von Web Service-Standards technisch überlegen.
Die Studie gibt einen realitätsnahen Einblick in die Möglichkeiten und Probleme der Ausführung von BPMN-Modellen mit verschiedenen Tools. Das recht einfache Beispielszenario konnte mit allen Tools umgesetzt werden, jedoch nicht immer ohne Probleme. Für den praktischen Einsatz ist davon auszugehen, dass man auf viele weitere Probleme stößt, denn zahlreiche Fragestellungen, wie z. B. die Einbindung von User Interfaces oder die Definition von Geschäftsregeln, sind in dem Szenario nicht betrachtet worden. Vor der Entscheidung für ein BPMS ist daher dringend zu empfehlen, einen typischen Prozess aus dem eigenen Unternehmen im Rahmen einer Pilotimplementierung umzusetzen.
Spath, D.; Weisbecker, A.; Drawehn, J. (Hrsg.):
Business Process Modeling 2010. Modellierung von ausführbaren Geschäftsprozessen mit der Business Process Modeling Notation.
Fraunhofer Verlag Stuttgart 2010.
Das Buch bei amazon (Anzeige)
Website zur Studie
Hallo,
gibt es eine vergleichbare Studie, für die man nicht 200 Mücken liegen lassen muss? Eine Liste mit 50 Tools wäre auch sehr interessant. Danke 🙂
lg
Frank
Eine günstige umfassende Studie ist mir momentan nicht bekannt.
Die Liste der Tools in der aktuellen IAOStudie findet sich hier:
https://shop.iao.fraunhofer.de/details.php?id=489&source=1&sort=titel&skip=20&SID=15debee7f1949b7fd163dd558484f16c
Das eine oder andere dieser Tools wurde auch hier im Blog schon besprochen: https://www.kurze-prozesse.de/bpmtools/
Alle bekannten Tools, die BPMN unterstützen sind auf der OMG-Seite aufgelistet:
http://www.bpmn.org/BPMN_Supporters.htm
Ich habe vor 4 Monaten die Frauenhoferstudie 2011 zu den BPM Tools gekauft. Eine herbe Enttäuschung, vorallem noch zu diesem sehr stolzen Preis.
Es werden keinerlei Bewertungen über die Qualität und Güte der einzelnen Funktionen gemacht, sondern nur, ob vorhanden oder nicht. Was nützt es mir, wenn Tools z.B. unter Farbenwahl ein x haben, dies aber nur für gewisse Symbole geht. Weder die Haptik der Modellierungswerkzeuge noch die Usability wird richtig bewertet, sondern lediglich deren Funktionsumfang deklariert – in welcher Güte bleibt dem jeweiligen Interessenten vorenthalten.
Ich verweise da viel lieber auf eine, leider nicht mehr ganz aktuelle Stuidue aus dem Jahre 2007 der Fachhochschule Stuttgart zum Thema BPMN Tools: http://elib.uni-stuttgart.de/opus/volltexte/2007/3385/pdf/FACH_0075.pdf
Hier werden die einzelnen Funktionalitäten auch in ihrer Ausprägung bewertet. Auch trotz der 5 Jahre, ist die Studie nach wie vor erstaunlich aktuell, was die Toolbwertungen betrifft.
Ein Gratis Modellierungswerkzeug das unbedingt noch zu erwähnen ist, ist der Bizagi Process Modeler (http://www.bizagi.com). Sensationell, was diese spanische Firme an Gratis-Modellierungssoftware zur Verfügung stellt.
Viele Grüsse
Lukas