Schon mehrfach habe ich über das „Serious Game“ Innov8 von IBM berichtet, mit dem man sich in das Thema BPM einarbeiten kann. Eine gute Idee, die erste Version litt an technischen Kinderkrankheiten, insbesondere einer fehlenden Speichermöglichkeit. Für die zweite Version gibt es ein Online-Demo, und seit kurzem auch die komplette Version, erhältlich für Hochschulen und IBM-Kunden. Die gute Nachricht: Die Speicherfunktion funktioniert in der aktuellen Version. Hinzu gekommen sind auch einblendbare Erläuterungen für wichtige Begriffe, mit denen man im Lauf des Spiels zu tun hat, sowie erläuternde Videosequenzen.
An der grundlegenden Story hat sich nicht viel verändert: Eine BPM-Expertin soll den Customer-Service-Prozess identifizieren, analysieren und optimieren. Hierzu läuft sie zunächst durch die Gegend um die Modellierungssoftware und benötigte Informationen zu suchen und einzusammeln. Die Sucherei ist recht langweilig und bringt wenig Erkenntnisgewinn. Anschließend modelliert man den Ist-Prozess, wobei einem haarklein vorgegeben wird, was zu modellieren ist. Auch der Entwurf eines ersten Sollprozesses ist eher trivial: Man muss aus mehreren Modellvarianten diejenige auswählen, die der Beschreibung der versammelten Fachexperten entspricht.
Schwierigkeiten bei der Simulation
Dann wird es aber schwierig: Mit Hilfe einer Simulation soll ermittelt werden, wie viele hochqualifizierte (und hochbezahlte) und wieviel niedrigqualifizierte (und entsprechend billige) Call Center-Mitarbeiter eingesetzt, und wie die verschiedenen (einfachen, mittleren und schwierigen) Anfragen auf die hoch- und niedrig qualifizierten Mitarbeiter aufgeteilt werden sollen. Vorgegeben sind die Personalkosten, das Gesamtbudget und die Bearbeitungszeiten, die unterschiedlich qualifizierte Mitarbeiter für verschieden schwierige Anfragen benötigen. Durch Drücken des Simulations-Buttons wird einem angezeigt, ob die vorgegebenen Werte für die Kundenzufriedenheit und die durchschnittliche Gesprächsdauer eingehalten werden.
Leider ist es mir in den vier zur Verfügung stehenden Versuchen nicht gelungen, die Werte in den grünen Bereich zu bringen. Sämtliche mir plausibel erscheinenden Parameteränderungen brachten keine nennenswerten Verbesserungen. Und der angebotene Hinweis, man möge doch mehr einfache Anfragen an niedrig qualifiziertes Personal leiten, wurde auch dann noch gegeben, als bereits alle einfachen Anfragen ausschließlich an niedrig qualifizierten Mitarbeiter gingen. Da man die Dynamik des zugrunde liegenden Simulationsmodells nicht untersuchen kann, ist man auf reines Probieren angewiesen, und es gibt auch keine wirklich hilfreichen Hinweise.
Fristlos gefeuert
Eine weitere Simulation, u. a. zur Vermeidung von CO2-Ausstoß durch Heimarbeit, verlief leider nicht erfolgreicher als die erste. In einem zweiten Schritt sollten Anfragen interessanter Kunden gezielt an solche Mitarbeiter gehen, die darin geschult sind, die Anrufer zum Kauf weiterer Leistungen des Unternehmens zu bewegen. Leider entsprach keine der auswählbaren Prozessvarianten so richtig der Beschreibung, und auch die einzustellenden Parameter passen meines Erachtens nicht ganz zum Szenario. Nach meinen Misserfolgen wurde ich schließlich fristlos gefeuert. Insgesamt also zunächst einer eher frustrierende Erfahrung.
Dennoch habe ich nicht locker gelassen und es noch ein paar Mal probiert. Irgendwann gelang es mir dann in allen drei Fällen tatsächlich, die Parameter so zu wählen, dass die gewünschten Grenzwerte der Key Performance Indicators erreicht wurden. Die Simulationen sind übrigens die gleichen wie die des eingangs erwähnten Onlinespiels zum Thema Customer Service, man kann es also auch dort probieren. Nicht alle erfolgreichen Einstellungen erschienen mir plausibel, und enttäuschend oft war es am erfolgreichsten, wenn man Grenzwerte verwendete, z. B. alle einfachen Anfragen an Niedrigqualifizierte, alle anderen an Hochqualifizierte. In solchen Fällen wird der Nutzen einer Simulation nicht so deutlich. Anschaulicher würde dieser Nutzen, wenn man sich durch Parameteränderungen und mehrfache Simulationen möglichst nahe an ein Optimum herantasten müsste, das irgendwo zwischen den Grenzwerten liegt.
Als Einstieg in die Thematik geeignet
Insgesamt wird das Thema Simulation und Implementierung nicht richtig vermittelt. Die Simulation wirkt wie eine Art Orakel. Wie die Ergebnisse zustande kommen und welche Problemstellungen damit verbunden sind, wird nicht deutlich. Anschließend entsteht der Eindruck, man bräuchte das Prozessmodell und die mit Hilfe der Simulation erarbeiteten Strategien nur per Knopfdruck in ein BPMS-System zu übertragen um den Prozess zu implementieren. Dieses Szenario sollte zumindest nicht ohne eine sorgfältige Aufarbeitung in einer Lehrveranstaltung angewandt werden.
Zwar ist das Spiel weder ein richtig gutes Computerspiel, noch können die Lernerfahrungen bedingungslos empfohlen werden. Dennoch kann man es als Einstieg in die Thematik einsetzen. Das Spiel an sich müsste sich in einer Unterrichtsstunde durchspielen lassen, ggf. kann man einiges durch Tipps seitens des Dozenten schneller finden. Um die Frustration bei der Simulationsaufgabe zu vermeiden kann man den Spielern beim letzten Versuch einen konkreten Lösungshinweis geben. Aber vielleicht ist das ja gar nicht nötig weil die Studierenden viel findiger als der Autor dieser Zeilen sind. Das Spiel reißt viele wichtige Themen des Geschäftsprozessmanagement an, die dann in den folgenden Lehrveranstaltungen aufgegriffen, vertieft und in bewertet werden könnten. Auf jeden Fall gibt es eine Menge Diskussionsstoff, und die Studierenden sind selbst aktiv.
Falls unsere Laborrechner die nicht unbeträchtlichen technischen Voraussetzungen für das Spiel erfüllen, werde ich den Einsatz in der Lehre im kommenden Semester einmal ausprobieren und dann über die Erfahrungen berichten.
Klingt für mich so, als ob das Spiel die beiden kritischsten Versprechen von BPM transportiert:
1) Mit Simulation kann ich „mal eben“ herausfinden, wie ich meinen Prozess verbessern kann
2) Mit einem BPMS kann ich den Soll-Prozess „mal eben“ in IT automatisieren
Beide Themen besitzen riesiges Potential, klappen aber nicht „mal eben“, auch wenn die Fortschritte der letzten Jahre nicht von der Hand zu weisen sind. Zumindest in der Automatisierung, bei der Simulation bekomme ich das entweder nicht mit, oder das Thema tritt stärker auf der Stelle, das weiß ich nicht.
Dann hoffe ich mal, dass das Spiel für die Akzeptanz von BPM nicht sogar kontraproduktiv wirkt.
Tja, es ist eben von einem BPMS-Hersteller erstellt worden. Unkommentiert darf man das Spiel nicht einsetzen, so nach dem Motto „Spielt das mal, dann wisst Ihr, was BPM ist …“.