Neuauflage des Standardwerks zum Geschäftsprozessmanagement

Wenn ein Buch zum Geschäftsprozessmanagement aufgrund der großen Nachfrage nach sieben Jahren bereits in der sechsten Auflage erscheint, dann schmückt es sich auf der Titelseite zu Recht mit dem Label „Das Standardwerk“. Die Neuauflage des Werkes „Geschäftsprozessmanagement in der Praxis“ (Anzeige) von Hermann J. Schmelzer und Wolfgang Sesselmann enthält eine Reihe von Neuigkeiten, insbesondere wurden die Ausführungen zu strategischem Geschäftsprozessmanagement, Rollen und „Kaizen“ (kontinuierlicher Verbesserungsprozess, KVP) überarbeitet. Auch an anderen Stellen wurden neue Erfahrungen aus Anwenderprojekten sowie aktuelle Literaturhinweise aufgenommen, außerdem drei neue Anwenderberichte. Von daher dürfte auch für Besitzer der vorangehenden Auflagen ein Blick in die mittlerweile über 600 Seiten starke sechste Auflage interessant sein.

Geschäftsprozessmanagement umfasst gemäß Schmelzer und Sesselmann die Aufgabenfelder Prozessorganisation, Prozesscontrolling, Prozessoptimierung und – als unverzichtbare Voraussetzung – die Prozessführung (vgl. die nebenstehende Abbildung). Integriertes Geschäftsprozessmanagement
Prozessführung bedeutet, die Einstellung und das Verhalten der Prozessmitarbeiter so zu beeinflussen, dass sie sich mit dem Geschäftsprozessmanagement identifizieren und die Ziele des Geschäftsprozessmanagements umsetzen. Prozessführung beginnt an der Spitze bei der Geschäftsleitung“ (S. 7). Gelingt dies nicht, werden die Wirkungen sämtlicher Prozessmanagement-Initiativen zu einem großen Teil verpuffen.

Im Folgenden werden schlaglichtartig einige interessante Aspekte aus dem Buch herausgegriffen.

Um sich im Dschungel der verschiedenen aktuellen Schlagworte und Konzepte zurechtzufinden sind die Ausführungen sehr nützlich, in welchem Verhältnis Geschäftsprozessmanagement und Ansätze wie Customer Relationship Management, Six Sigma, Total Quality Management, Compliance Management etc. stehen.

Strategisches Prozessmanagement

Im neu gestalteten Kapitel über das strategische Prozessmanagement wird die Ableitung der Prozessstrategie aus der Unternehmensstrategie thematisiert, sowie die Rolle der Prozesse zur Umsetzung der Strategie und zum Aufbau von Kernkompetenzen. Entsprechend werden Methoden wie Prozess-Portfolios und die Anwendung der QFD-Methode (Quality Function Deployment) erläutert, um Geschäftsprozesse zu gewichten und somit Kernprozesse und Verbesserungspotenziale von strategischer Bedeutung zu identifizieren. Mit Hilfe von Shared Service Centern (SSC) oder Business Process Outsourcing (BPO) lassen sich sekundäre Prozesse bündeln oder verlagern.

Zur Strukturierung und Dokumentation von Geschäftsprozessen wird vor allem auf die hierarchische Zerlegung in Teilprozesse und Prozessschritte sowie die textuelle Beschreibung mit Hilfe von Formblättern eingegangen. Nimmt die grafische, toolgestützte Ablaufmodellierung in anderen Büchern zum Thema einen großen Raum ein, so wird diese hier nur relativ kurz erwähnt, denn „die Darstellung der Prozessabläufe ist zwar wichtig, aber die Schwerpunkte des Geschäftsprozessmanagements sind auf Leistungssteigerungen und Optimierung der Geschäftsprozesse zu legen“ (S. 139).

Aufstieg zum CPO

Für die verschiedenen Rollen im Geschäftsprozessmanagement sind ausführliche Profile mit Aufgaben, Verantwortungen und Qualifikationsanforderungen angegeben. Der „Prozesskoordinator“ aus früheren Auflagen ist nun zum „Chief Process Officer“ (CPO) aufgestiegen und mit einem erweiterten Aufgabenbereich versehen worden.

Auch die Frage, welche typischen Geschäftsprozesse es in einem Unternehmen gibt, beantwortet das Werk. Für häufig anzutreffende primäre und sekundäre Geschäftsprozesse wie den Produktentwicklungsprozess oder den Auftragsabwicklungsprozess sind jeweils Beginn und Ende, Bearbeitungsobjekte, Inputs, Lieferanten (d. h. vorgelagerte Prozesse), Ergebnisse, Kunden, Teilprozesse und eine inhaltliche Beschreibung enthalten.

Sehr ausführlich ist auch das Kapitel zum Prozesscontrolling. Dieses findet einerseits auf strategischer Ebene statt (hier kommen u. a. Balanced Scorecards und Strategy Maps zum Einsatz), andererseits auf operativer Ebene. Das operative Prozesscontrolling unterteilen die Autoren in Prozessplanung, Prozesssteuerung, Prozessmessung, Prozesskontrolle und Prozessinformation. Hierbei wird u. a. auf Methoden wie Six Sigma, Prozessbenchmarking und Prozessassessments eingegangen. Für Letzteres wird ein GPM-Reifegradmodell dargestellt, mit dessen Checklisten einzelne Prozesse sowie das Gesamtunternehmen überprüft werden können.

Dass es sich bei den Inhalten nicht um bloße Theorie handelt, wird durch vier Anwenderberichte von Lufthansa Cargo, dem Mittelständler SCANSONIC, Siemens Health Services sowie Siemens Medical Solutions bewiesen. Besonders interessant der Beitrag von Siemens Medical Solutions, denn hier wird eine Rückschau auf bereits zehn Jahre Geschäftsprozessmanagement gegeben. In diesem Unternehmensbereich handelt es sich um Erfolgsgeschichte, durch die Einführung des Geschäftsprozessmanagements wurde ein Turnaround geschafft und eine durchweg positive Ergebnisentwicklung erreicht.

Wie bereits erwähnt werden einige Themen nur gestreift. Um Notationen zur Prozessmodellierungen zu lernen, die Verfahren der Prozesskostenrechnung genauer kennenzulernen oder Simulationsverfahren zu verstehen, muss man zu anderen Werken der umfangreichen Literaturliste greifen. Wie sich diese Verfahren in das gesamte Geschäftsprozessmanagement-Konzept einfügen, wird hingegen gut erklärt.

Wünsche für die siebte Auflage

Wenn man sich für die siebte Auflage noch etwas wünschen dürfte, wäre dies eine stärkere Berücksichtigung der Informationstechnik. Die Autoren begründen, warum sie diese nicht im Fokus haben: „Trotz ihrer Bedeutung hat die IT im Geschäftsprozessmanagement nur instrumentellen Charakter. Vom grundsätzlichen Vorgehen her sind zunächst Strategie, Organisation und Controlling der Geschäftsprozesse zu klären. Erst dann ist zu entscheiden, welche IT-Unterstützung bei der Gestaltung und Optimierung der Geschäftsprozesse von Nutzen ist“ (S. 35).

Dies lässt sich voll unterschreiben und hebt sich wohltuend von der Vielzahl von Stimmen ab, für die Geschäftsprozessmanagement vor allem ein IT-Konzept ist. Dennoch spielen heute Informationssysteme für die Umsetzung von Geschäftsprozessmanagement zwangsläufig eine wichtige Rolle. Und auch die im Band enthaltenen Praxisbeiträge enthalten u. a. zahlreiche Screenshots von verwendeten Softwaretools und Anwendungen. Zwar existiert bereits ausführliche Literatur zu ERP-Systemen, Business Process Management-Systemen, Data Warehouses, usw. Diese sollten daher auch nicht im Detail beschrieben werden. Welche Rollen diese in einem durchgängigen Geschäftsprozessmanagement-Konzept spielen, und wie die Gestaltung der Geschäftsprozesse mit der Entwicklung und Einführung von Informationssystemen zusammenspielt, könnte hingegen noch etwas ausführlicher dargestellt werden.

Dies tut dem ansonsten durchweg positiven Eindruck jedoch keinen Abbruch. Das Buch „Geschäftsprozessmanagement in der Praxis“ (Anzeige) gehört definitiv zur Pflichtlektüre für jeden, der sich mit dem Thema beschäftigt und vielleicht selbst eine der beschriebenen Rollen des Geschäftsprozessmanagements inne hat. Jedem Leser dieses Buches wird klar, dass es sich um einen umfassenden, alle Bereiche des Unternehmens umfassenden Management-Ansatz handelt – und nicht etwa um nur eine Prozessdokumentation oder die Einführung eines Workflow Management-Systems. Der Praxisbezug des vorgestellten Konzeptes wird durchgehend deutlich. Neben dem unverzichtbaren Grundlagen- und Methodenwissen finden Prozessmanager viele konkret umsetzbare Hinweise.


Hermann J. Schmelzer, Wolfgang Sesselmann: Geschäftsprozessmanagement in der Praxis. Kunden zufrieden stellen, Produktivität steigern, Wert erhöhen. 6., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Hanser 2007.
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6 Gedanken zu „Neuauflage des Standardwerks zum Geschäftsprozessmanagement“

  1. Gibt es meines Wissens nicht auf Englisch. Ich kenne auch kein vergleichbares englisches Buch. Wenn jemand eines kennt, würde ich mich auch sehr dafür interessieren.

  2. Hhhm, das schreit ja fast danach selbst eins zu schreiben 🙂 Nein im Ernst, ich kenne sonst nur noch „Business Process Management: The Third Wave“ von Smith und Fingar, aber das ist eher technisches BPM bzw. Geschäftsprozessautomatisierung. Falls ich gelegentlich über etwas derartiges stolpere, poste ich es hier nochmal.

  3. Also ich hab im Ausland mit folgendem Buch studiert, dass ich sehr gut fand:

    Harmon – Business Process Change: A Manager’s Guide to Improving, Redesigning, and Automating Processes

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