Bücher zum Thema Prozessmanagement und -modellierung sind oft stark vom Hintergrund der Autoren geprägt. Dies gilt auch für diese Einführung in die Business Process Modeling Notation. Tom Debevoise ist bislang insbesondere als Autor von Büchern über Business Rules bekannt geworden. Rick Geneva ist Prozessberater beim BPMS-Hersteller Intalio. Insofern wird einerseits eine Brücke von der Prozessmodellierung zum Management von Geschäftsregeln geschlagen, andererseits wird die Bedeutung der BPMN-Modellen als Grundlage für die Prozessausführung betont. Die Autoren wollen nicht nur in die Notation selbst einführen, sondern auch Hinweise für die sinnvolle Anwendung geben. Hierzu stellen sie ihr Process Modeling Framework (PMF) vor, das verschiedene Modellierungsebenen mit zunehmendem Detaillierungsgrad vorsieht.
In der Einführung werden die Vorteile von BPMN gegenüber früheren Workflow-Notationen angesprochen. Die BPMN-Darstellungen seien umfassender, „natürlicher“ und könnten mehrere verschiedene Aspekte darstellen – z. B. zeitliche Reihenfolgen und Prozessbeteiligte. Im Gegensatz zu den herkömmlichen, auf Petri-Netzen aufbauenden Workflow-Notationen basiet die BPMN auf dem mathematischen Pi-Kalkül. Hierbei können alle Aktivitäten eines Prozesses jederzeit auf einen gemeinsamen Prozess-Daten-Pool zugreifen. Dies sei vorteilhafter als die explizite Weitergabe von Daten zwischen den einzelnen Aktivitäten.
5 Ebenen im Process Modeling Framework
Es folgen die Erläuterung grundlegender Begriffe und BPMN-Konzepte sowie eine kurze Erläuterung verschiedener Prozess-Szenarien aus den Bereichen Materialwirtschaft, Wartung und Lieferantenmanagement. Diese Szenarien dienen als Grundlage für Anwendungsbeispiele im gesamten Buch. Schließlich wird das Process Modeling Framework (PMF) eingeführt. Es besteht aus den fünf, zunehmend detaillierten Ebenen „Core Business Processes“, „Phases“, „Scenario“, „Integration“ und „Services“. Das PMF soll ein konsistentes Vorgehen von Überblicksmodellen bis zu in einem BPMS ausführbaren Prozessesn ermöglichen. Hierbei werden bereits BPMN-Modelle mit einer Reihe ziemlich spezieller BPMN-Konstrukte verwendet. Ein Leser, der sich erst in die BPMN einarbeiten möchte, kann sie an dieser Stelle allerdings noch nicht verstehen. Etwas verwirrend mag hier auch der ständige Verweis auf die Modellierung von Geschäftsregeln und ihre Implementierung in Form von „Decision Services“ sein. Diese Aspekte lassen sich nicht mit BPMN modellieren und sind für einen Einstieg in die BPMN-Modellierung auch nicht eforderlich.
Im zweiten und dritten Kapitel werden die verschiedenen BPMN-Konstrukte vorgestellt. Etwas ärgerlich sind hierbei Abweichungen von der offiziellen BPMN-Spezifikation. So wird beispielsweise behauptet, dass ein Zwischen-Ergebnis zugleich einen eingehenden und einen ausgehenden Nachrichtenfluss haben kann. Dies entspricht ebenso wenig der offiziellen Spezifikation wie das im Buch vorgestellte sendende Fehler-Zwischen-Ereignis. Es werden mehrere an einen Unterprozess angeheftete Fehler-Ereignisse verwendet, die zumindest durch eine Bezeichnung unterschieden werden müssten. Aus den Erläuterungen wird auch nicht ganz klar, ob ein angeheftetes Zwischen-Ereignis einen Unterprozess immer komplett abbricht, oder der normale Sequenzfluss auch einmal parallel zum Ausnahme-Fluss weiterlaufen kann. Letzteres wäre falsch.
Freie Auslegung der BPMN-Spezifikation
Die Problematik der zumindest sehr freien Auslegung der BPMN-Spezifikation zieht sich auch weiter durch die folgenden Kapitel. Z. B. werden Abbruchbedingungen für Schleifen mit Hilfe von Ereignissen modelliert: Ein End-Ereignis wird für den Schleifen-Abbruch verwendet, ein Zwischen-Ereignis ohne ausgehenden Sequenzfluss soll darstellen, dass die Schleife noch einmal durchlaufen wird. Nun mag man zwar bedauern, dass die BPMN nur ein Attribut, aber keine grafische Darstellung für Schleifen-Abbruch-Bedingungen vorsieht. Doch ist es sicherlich keine Lösung, sich selbst eine Darstellung zu basteln, die schlicht und einfach falsch ist. Wer die BPMN als Standard-Notation nutzen möchte, sollte sich auch an den Standard halten.
Diese Probleme überschatten etwas die an und für sich interessante Vorstellung verschiedener Modellierungs-Muster sowie die Diskussion des Zusammenhangs von Geschäftsprozessen und Geschäftsregeln. Allerdings sind auch manche Empfehlungen für „gute Modellierung“ durchaus diskussionswürdig. So wird bereits auf fachlicher Ebene empfohlen, die an einem Prozess Beteiligten mit Hilfe unterschiedlicher Pools zu modellieren und das Zusammenspiel über Nachrichtenflüsse miteinander kommunizieren zu lassen. Dies führt zu sehr großen und unübersichtlichen Modellen. Außerdem wird durch die detaillierte Poolaufteilung die Gesamtsicht auf den Prozess und damit auch das Erkennen von Optimierungspotenzial erschwert.
Für BPMN-Experten bietet das Buch durchaus die eine oder andere Anregung. Als Einstieg ist es inbesondere aufgrund der Ungenauigkeiten bzgl. der BPMN-Syntax weniger geeignet.
Debevoise, Tom.; Geneva, Rick:
The Microguide to Process Modeling in BPMN
Booksurge 2008
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Ich habe mich in der letzten Woche im Zuge der Vorbereitung unseres BPMN-Seminars u.a. auch mit dem Microguide herum geschlagen. Hochinteressant und auch plausibel finde ich die Aussagen zum Thema Business Rules. Die von Ihnen angesprochenen Abweichungen von der Spec sind hingegen ein Alptraum, man weiß nie, ob ein seltsames Konstrukt im Buch wirklich falsch ist, oder ob man nur in der Spec eine Ausnahmeregelung übersehen hat. Der Reference Guide von Stephen White, der die BPMN ja maßgeblich entwickelt (hat), ist in der Hinsicht zwar korrekter. Aber ein paar Abweichungen sind ja leider auch darin enthalten.